Ein Bericht der Solidaritätsrundreise in das Geflüchtetencamp Smara
Text freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Bernd Roth
„Bi-sihhat il-qayyam“ – Auf die Gesundheit desjenigen, der den Tee zubereitet. Der süße Tee, auf den sich dieser Satz bezieht, war ein ständiger Begleiter unseres Aufenthalts in den sahrauischen Geflüchtetencamps. Ähnlich wie der Sonne oder dem Sand konnte man sich dem ritualisierten Teetrinken kaum entziehen. Das lag nicht zuletzt an der großen Gastfreundschaft, mit der unsere Delegation während des gesamten Zeitraums empfangen wurde. Im Gegensatz zur brennenden Sonne und dem allgegenwärtigen, porendurchdringenden Sand war das gemeinsame Teetrinken ein besonders schöner Moment, der half, den Energiehaushalt, vor allem gegen Abend, wieder aufzuladen. Dieser Bericht soll sich jedoch weder mit unseren Befindlichkeiten noch mit romantisierten Vorstellungen des Lebens in den sahrauischen Camps beschäftigen. Das Camp Smara, in dem wir übernachteten, liegt nahe der Stadt Tindouf auf algerischem Staatsgebiet. Hier leben etwa 40.000 Sahrauis, die vollständig von internationalen Hilfslieferungen abhängig sind. Insgesamt haben rund 170.000 vertriebene Sahrauis in fünf Camps Zuflucht gefunden. Der Name Smara, wie auch die der anderen Camps, ist angelehnt an sahrauische Städte, die in den von Marokko besetzten Gebieten liegen. Die ursprüngliche Stadt Smara wurde 1976 von Marokko besetzt.
In der gesamten Westsahara ging die militärische Besetzung mit der Vertreibung und Ermordung der sahrauischen Bevölkerung einher. Damit kommen wir zum eigentlichen Grund unserer Rundreise: Die Westsahara ist Schauplatz eines langjährigen Konflikts, der insbesondere in europäischen Gesellschaften – und vor allem in der deutschen Öffentlichkeit – kaum Beachtung findet. Wenn wir über das sprechen, was viele als „Westsaharakonflikt“ bezeichnen, müssen wir uns bewusst machen, dass es sich nicht einfach um eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten und ihren Armeen handelt. Ähnlich wie in Palästina ist dies ein asymmetrischer Konflikt, geprägt von einem Verhältnis zwischen Besetzten und Besatzern, Kolonisierten und Kolonisierenden. In der Wissenschaft wird die Westsahara häufig als die letzte Kolonie Afrikas bezeichnet, da das Gebiet immer noch auf der Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung steht – jener Liste, auf der einst alle ehemaligen Kolonien vor den Dekolonisierungsprozessen aufgeführt waren.
Um das Verhältnis zwischen den Sahrauis und dem marokkanischen Staat angemessen darzustellen, führt eigentlich kein Weg an einem geschichtlichen Abriss der Kolonisierung der Westsahara vorbei. Auch alle Vertreterinnen des sahrauischen Volkes, mit denen wir in Kontakt kamen, sahen das ähnlich. Die Geschichte der Vertreibung und Besetzung der Westsahara war immer der Ausgangspunkt für jeglichen weiteren Austausch. Ein detaillierter geschichtlicher Abriss soll an dieser Stelle jedoch nicht erfolgen. Stattdessen sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle Interessierten herzlich eingeladen sind, am 14. Februar 2025 um 19 Uhr in der Schönstraße 28 in Frankfurt am Main die Comiclesung „Genug gewartet.“ mit anschließendem Vortrag zu diesem Thema zu besuchen. Die Westsahara wurde auf der sogenannten Kongokonferenz 1884 zum spanischen Protektorat erklärt. Spanien hielt trotz internationalen Drucks das Gebiet bis 1975 unter seiner Kontrolle. Nach dem Abzug der spanischen Kolonialverwaltung und ihres Militärs nutzte das Königreich Marokko die Gelegenheit, das Gebiet zu besetzen. Damit einher gingen, wie bereits erwähnt, die Vertreibung und Ermordung der sahrauischen Bevölkerung. Die bereits 1973 gegen die spanische Kolonisierung gegründete Befreiungsbewegung Frente POLISARIO (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro) setzt sich seither gegen diese Besetzung zur Wehr und fordert die Errichtung eines demokratischen Staates in der Westsahara. Statt die Geschichte weiter auszuführen, konzentriert sich dieser Bericht auf den Besuch eines Ortes, der die tiefe Verstrickung der Westsahara in die Weltpolitik und andere Befreiungskämpfe symbolisiert.
Zu Besuch bei SMACO – Minenräumung und Aufklärung
Es ist 7:30 Uhr, als unser Tag beginnt. Zwei Geländewagen holen uns ab, und die Fahrt führt uns wieder mal durch die unendlich erscheinende Weite der algerischen Wüste. Die Sonne steht bereits hoch am Himmel, als wir nach etwa einer Stunde auf dem Gelände von SMACO (The Sahrawi Mine Action Coordination Office) ankommen. Wir suchen zunächst Schatten zwischen den wenigen Gebäuden, bevor ein Mitarbeiter uns die Arbeit der Organisation näherbringt. SMACO, die Koordinierungsstelle der Frente POLISARIO für Minenräumung östlich des marokkanischen Walls, beteiligt sich am Kampf gegen eine der großen Bedrohungen in der Westsahara: Landminen. Diese Region gehört zu den am stärksten verminten Gebieten der Welt. Seit der Gründung im Jahr 2008 hat die Organisation beeindruckende Erfolge erzielt: Über 10.000 Kilometer Straßen und 148,8 Quadratkilometer Land wurden bisher von Minen befreit. Doch die Arbeit der Organisation geht weit über die eigentliche Minenräumung hinaus. Auf dem Gelände findet während unseres Besuchs eine Schulung für die sahrauische Bevölkerung statt. In mehreren Schulungsräumen lernen jeweils etwa 20 Personen unter Anleitung spanischer Experten den sicheren Umgang mit verschiedenen Minenmodellen. Seit Beginn dieser Programme wurden laut eigenen Angaben bereits über 70.000 Menschen über die Risiken von Minen und die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen aufgeklärt. Besonders herausgestellt wird der hohe Anteil an Frauen in führenden Rollen bei SMACO: 50 Frauen arbeiten nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung als Leiterinnen von Räumungstrupps oder als Technikerinnen in den befreiten Gebieten. Dass sie den langen Weg von bis zu 400 Kilometern aus Flüchtlingslagern auf sich nehmen, um ihre alte Heimat von der tödlichen Gefahr der Minen zu befreien, sei einzigartig. Neben der praktischen Räumung und Ausbildung dokumentiert die Organisation auch Minenunfälle und unterstützt Überlebende sowohl psychologisch als auch finanziell. Erneut wird auch die Bedeutung internationaler Unterstützung auf dem Gelände deutlich. Die Einrichtung wurde 2017 teilweise durch das deutsche Außenministerium finanziert, wofür die POLISARIO große Dankbarkeit empfindet. Gleichzeitig zeigt sich die bittere Ironie, dass auch deutsche Minen unter den geräumten Modellen sind. Insgesamt wurden Minen aus 42 verschiedenen Ländern gefunden, darunter aus allen fünf ständigen Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrates. Dass gerade spanische Experten, die teilweise einen militärischen Hintergrund haben, heute bei der Minenräumung helfen, ist ebenfalls eine bittere Ironie. Angesprochen darauf, aus welchem Grund sie bei SMACO mithelfen, antwortet einer von ihnen „Als Spanier haben wir eine Schuld bei ihnen zu begleichen.“ – eine Anspielung auf die spanische Kolonialisierung. Dies scheint auch der spanische Staat einzusehen, weswegen die Unterstützung der Organisation unter anderem durch ein Regierungsprogramm finanziert wird.
Drohnen als neuer Eckpfeiler der Besatzung
SMACO hat sich nicht nur der Minenräumung verschrieben. Seit einigen Jahren überwacht die Organisation auch Drohneneinsätze der marokkanischen Armee. Allein in den Jahren 2021 bis 2023 verzeichnete die Organisation 73 Angriffe auf Zivilistinnen, bei denen 160 Menschen verletzt wurden, 80 davon tödlich. Israelische Kamikazedrohnen wie der Typ HAROP, die bereits bei der ethnischen Säuberung Bergkarabachs eingesetzt wurden, gehören seit den Abraham-Abkommen zu den zentralen Waffen Marokkos. Das Königreich hat zudem 150 Drohnen des Typs WanderB und ThunderB vom israelischen Hersteller BlueBird Aero Systems erworben. Dieses Jahr wurde sogar die Eröffnung einer Produktionsstätte in Rabat angekündigt. Angesichts dieser intensiven Kooperation mit Unternehmen, die sich durch Krieg und die Besatzung Palästinas finanzieren, für deren Technik Palästina eine Art Testlabor darstellt, sollte die angebliche Solidarität des Königshauses mit den Palästinenser*innen deutlich in Frage gestellt werden.
Auch türkische Bayraktar-TB2-Drohnen kommen zum Einsatz, die mit deutscher Technologie ausgestattet sind, etwa Kameras von Hensoldt. Diese Drohnen wurden ursprünglich im türkischen Kampf gegen die PKK getestet und sind mittlerweile weltweit im Einsatz. Genau wie die israelischen Modelle nutzte Aserbaidschan sie ebenfalls in Bergkarabach. Sie können mit Präzisionsraketen ausgestattet werden, die unter Beteiligung deutscher Unternehmen wie TDW entwickelt wurden. Insbesondere die Erfolge der PKK, Bayraktar-Drohnen abzuschießen, stießen in der Westsahara auf großes Interesse wie uns berichtet wird. Ist es nicht naheliegend, dass es neben dem Technik- und Wissenstransfer in der Waffen- und Unterdrückungsindustrie ebenso einen Austausch unter Befreiungsbewegungen geben sollte? Kopfnickend, aber sichtbar von der Sonne angestrengt, signalisieren einige Teilnehmende der Delegation ihre Zustimmung zu dieser Frage. Nach Abschluss des Besuches steigen wir wieder in die Geländewagen, um zur nächsten Station des Tages gefahren zu werden: die einzige sahrauische Universität in Tifariti.
Der Bericht soll an dieser Stelle nicht weitergeführt werden. Trotz der möglicherweise technisch anmutenden Details über die Arbeit von SMACO und die gegen die POLISARIO eingesetzte Waffentechnik hat der Besuch eines deutlich gemacht: Die Unterdrückungsmaschinerie, mit der viele Befreiungsorganisationen konfrontiert sind, ist oft dieselbe. Genauso wie die Repressionskräfte ihr Wissen und ihre Technik miteinander austauschen und sich auf diese Weise gegenseitig materielle Solidarität zollen, sollten auch die Bewegungen und alle solidarischen progressiven Kräfte dies tun. Die Antwort auf eine international produzierte Unterdrückung kann nur internationale Solidarität sein.
Quellen und Verweise
1.
SMACO
https://smaco-ws.com/about-smaco/
2.
Waffenhandel Israel + Marokko
https://www.newarab.com/news/morocco-host-israeli-drone-site-amid-anti-israel-uproar