Gekürzt veröffentlicht im Neuen Deutschland
Was hatte Ihre Gruppe im Flutgebiet gemacht?
Stein: Wir waren Ende Juli und Anfang August mit mehreren Autos aus der Rhein-Main-Region nach Ahrweiler gefahren. Die Unterstützer kamen aus linken Gruppen und hatten sich bei uns gemeldet, nachdem wir einen entsprechenden Aufruf gestartet hatten. Vor Ort sind wir dann direkt zu Leuten gefahren, die Hilfe brauchten. Wir haben unter anderem Keller und Tiefgaragen ausgeschippt, Eimer voller Wasser und Schlamm weggetragen und Gebäude entkernt, eben all die Arbeiten die anfallen, wenn ein Landkreis zwei Meter hoch voll Wasser steht.
Wie war die Lage vor Ort?
Stein: Wir sahen komplett verwüstete Dörfer und Städte. Alles bis zu der Höhe von zwei Metern war nicht mehr zu gebrauchen. Keller und Erdgeschosse waren vollgelaufen, die ganzen Straßen schlammig, überall lagen zerstörte Autos. Es waren neben der Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk und der Bundeswehr auch enorm viele ehrenamtliche Helfer und Helferinnen unterwegs. Ohne die wären die Aufräumarbeiten nicht zu stemmen gewesen. Gegenüber staatlichen Stellen zeigte sich auch Frust: „Die Leute in Uniform fahren nur teure Autos und machen sonst nichts“, hatte man uns gleich zu Anfang gesagt.
Schöppner: Der Großteil der Unterstützung, darunter auch Bagger, Laster, Gummistiefel, Handschuhe, kam von Privatpersonen. Meines Erachtens zeigte sich hier ein Staatsversagen – auch Leute vor Ort haben das so eingeschätzt. Uns hatten Anwohner berichtet, dass die Warnsysteme nicht funktionierten, Behörden waren nicht erreichbar, ganze Ämter nach 17 Uhr geschlossen. Es gab und gibt kaum Informationen für Helfer. Anwohner mussten derweil in ihren zerstörten Häusern auf Versicherungsvertreter warten. Sie durften nicht mit aufräumen anfangen, da alles im Originalzustand bewertet werden musste. Es gibt viele solcher Geschichten. Ich fand das extrem erschütternd. Wir haben z.B. Leuten im Garten giftigen Schlamm weggeschippt. Die waren so happy, dass die uns immer wieder um den Hals fallen wollten.
Sind Sie offen als Linke aufgetreten?
Stein: Wir waren nicht primär vor Ort, um auf uns aufmerksam zu machen, sondern um zu helfen und um auch als Linke einen Beitrag zur Unterstützung zu leisten. Ein paar von uns hatte linke T-Shirts an, das wurde schon erkannt, aber nicht weiter diskutiert. Leute zeigten sich vor allem froh, dass wir da waren, viele bedanken sich bei uns. Die Gespräche, die sich mit denen Anwohnern im Zuge der Aufräumarbeiten ergaben, waren natürlich aber trotzdem politisch. Hier fiel uns schon sehr auf, dass linke Kräfte fehlten. Andere waren dagegen gekommen: Eine der Haupthelferstationen, die Essen, Getränke und Material verteilte, wurde etwa von einem Rocker-Club organisiert.
Haben Sie andere politisch organisierten Gruppen wahrgenommen?
Stein: Nein, auch organisierte Rechte oder Querdenker hatten wir nicht gesehen. Vor allem sind wir auf NGOs gestoßen, von denen wir noch nie etwas gehört hatten. Wir wissen natürlich aber, dass diese auch Vorort waren.
Wie hätten Sie reagiert, wenn neben Ihnen eine organisierte Gruppe Neonazis oder Querdenker aufgetaucht wäre?
Schöppner: Bei Neonazis gibt es für mich nur eine passende Antwort, bei den Querdenkern existiert schon eine Grauzone. Ich denke, das ist auch unser Job, so ein bisschen zu sieben, wer wie weit noch erreichbar ist oder eben nicht mehr. Bei den staatlichen Stellen dagegen braucht etwas Pragmatismus in solchen Situationen. Ich hatte im Flutgebiet einen Bundeswehr-Logistiker nach einer Brechstange gefragt, er wollte mir sie erst nicht geben. Ich denke, es lag an meinem Antifa-T-Shirt. Nach einem kurzen Gespräch gab er sie mir doch und betonte, dass wir ja schließlich alle hier anpacken. Wir sind immer Antifaschisten, aber wenn wir mit einem Mitglied der Bundeswehr nicht mehr reden wollen oder können, dann werden wir in diesem Land revolutionär auch nie was ändern können.
Stein: Zusätzlich ist das ja auch eine ganz konkrete Machtfrage. Wenn wir nur kurz von außen dorthin fahren und sagen, „Hey, da sind Nazis“, dann genießt das keine Legitimität, man würde uns ignorieren. Wenn wir aber ein gut organisierter und sehr aktiver Teil der Hilfsstrukturen sind, dann ist das etwas anderes, dann hören uns Menschen zu. Dann können wir erklären, dass die Nazis falsche Versprechen machen und uns in Wirklichkeit spalten wollen. Dann haben wir auch die Unterstützung der Menschen, um sie herauszudrängen. Wir müssen konkret vor Ort die falschen rechten Antworten demaskieren und nicht von außen mit einer linken Besserwissermentalität.
Wie kann man verhindern, dass selbst ohne Besserwissermentalität bei der Hilfe nur die politische Inszenierung im Vordergrund steht?
Schöppner: Indem man die Hilfsstrukturen verstetigt und eben regelmäßig und selbstverständlich Unterstützung leistet. Wir fahren auch am Wochenende wieder hin.
Stein: Wenn wir vor Ort eine koordinierende Funktion einnehmen können und wirklich für die Menschen einen Unterschied machen, überwinden wir solch eine Ebene. Eigentlich müsste man komplett vor Ort sein und nicht nur zeitweise hinreisen, aber so weit sind wir derzeit noch nicht.
Warum braucht es aus Ihrer Sicht überhaupt eine linke Fluthilfe?
Schöppner: Für mich als Linker ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich überall dort aktiv bin, wo Menschen Hilfe brauchen – egal bei was.
Stein: Hier in Ahrweiler ist eine krasse Katastrophe passiert und diese ist verwoben mit den Themen zu denen wir als Linke auch politisch arbeiten. Für uns war klar, dass wir da vor Ort praktische Solidarität üben müssen, also das machen müssen, von dem wir immer sprechen.
Fällt Linken das sonst schwer?
Stein: Die gesellschaftliche Linke in Deutschland hat ein Problem mit symbolischer und nur auf sich bezogener Aktivität. Ganz viel passiert für die Show und weil man es schon immer so gemacht hat. Wenn dann mal wirklich etwas Bedeutendes geschieht, verpennt es die Linke. Fridays for Future oder auch Ende Gelände hätten nach Ahrweiler mobilisieren und ihre Plattformen nutzen können, aber stattdessen gibt es die zehnte wirkungslose Aktion für die Bilder. Genauso die antifaschistischen Gruppen. Man ist zufrieden damit, Samstags am Polizeigitter zu rütteln bei Naziaufmärschen wo sowieso klar ist das nichts passiert, anstatt zu zeigen, dass praktischer Antifaschismus im gesellschaftlichen Handgemenge stattfindet. Wir sind so sehr damit beschäftigt, uns in Pseudoaktivität zu verrennen, anstatt den historischen Moment als solchen zu begreifen. Und dort als Linke für solidarische Werte zu kämpfen.
Braucht es dafür nicht Bezugspunkte zu den Menschen vor Ort?
Stein: Solidarische Praxis ist schwierig ohne Bezugspunkte. Basisarbeit ist deswegen so wichtig. Wir haben aber auch teilweise verlernt, die Möglichkeiten und Ansatzpunkte dafür zu erkennen. Nicht weit entfernt, von den Orten, wo wir stark sind, haben gerade massenhaft Menschen ihre Existenz verloren. Wenn wir da nicht zum Helfen hinfahren, ist das auch ein bisschen ein Realitätsverlust. In so einem Moment nur noch auf Spenden und die staatlichen oder ehrenamtlichen Strukturen zu verweisen, klingt für mich wie das Eingeständnis der eigenen Wirkungslosigkeit. Wenn wir hinfahren, ist es dagegen die Chance, tatsächlich einen konkreten Unterschied für die Menschen vor Ort zu machen. Über Solidarität kann man eine Rolle in ihrem Alltag spielen und sich die Legitimität erwerben, die uns momentan fehlt. Am Ende, das ist unsere Hypothese, kann das dazu führen, dass Leute auch unseren Argumenten zuhören. Vor allem Menschen, die wir sonst nicht mehr erreichen.
Schöppner: Es gibt keine Kopplung mehr zum Alltag der Mehrheit. Unter Linken müsste dabei ja klar sein, wir machen unsere Politik nicht zum Spaß, sondern weil wir diese Gesellschaft verändern wollen. Dann müssen wir aber auch überall konsequent dafür eintreten und überall im Alltag präsent sein. Links sein ist ja eine Identität, kein Aufdruck oder ein Label. Damit verbinde ich eine Grundhaltung, ein Wertesystem!
Hat die Linke für Katastrophenhilfe überhaupt die notwendigen Fähigkeiten und Ressourcen?
Schöppner: Interessant ist ja viel mehr, dass der Staat selbst ohne die ehrenamtlichen Helfer gar nicht die notwendigen Strukturen dafür hat und daher auch gar nicht in der Lage ist, auf die kommenden Katastrophen zu reagieren. Offenbar will er das auch gar nicht. Im Kapitalismus ist es nicht vorgesehen, Menschen zu schützen, da geht es um Profite. Wer es bisher nicht geglaubt hat, sieht das jetzt im Katastrophengebiet, oder bei der Schließung der Krankenhäuser während (!) einer Pandemie. Spätestens hier muss eine Linke ran. Unsere praktische Unterstützung kann dabei helfen, perspektivisch eine Gegenmacht aufzubauen.
Stein: Mit Blick auf die großen Eventmobilisierungen der vergangenen Jahre sieht man ja auch, dass wir sehr wohl über entsprechendes Wissen und auch Infrastruktur verfügen. Wenn wir direkt am Anfang mit vielen Aktivisten koordiniert angereist wären, hätten wir viel mehr erreichen können.
Gibt es politische Vorbilder für die linke Fluthilfe?
Stein: Während der Corona-Pandemie hatten beispielsweise Linke in Italien Solidaritätsbrigaden aufgebaut. Diese verteilten Essen und machten Einkäufe und das in zahlreichen Ortsgruppen, in denen sich Hunderte Menschen organisierten. Ich will nochmal betonen, dass wir keine NGO sind, sondern eine politische Gruppe. Wir müssen aber unseren Werkzeugkasten öffnen für Handlungen, die näher an der Lebensrealität der Menschen sind.
Wie geht es weiter mit der Gruppe?
Stein: Wir wollen mit vielen Genossen und Genossinnen über unsere Erfahrungen sprechen. Es braucht ja eine Antwort auf die Frage, was wir machen, wenn solche Katastrophen häufiger eintreten. Das Klima als solches aber auch das politische Klima wird ruppiger, da müssen wir uns drauf vorbereiten.
Christian Stein
Ist aktiv bei „Aurora Räteaufbau“ – einer Gruppe von Kommunist:innen aus dem Rhein-Main Gebiet. Aurora sieht seinen Anspruch darin, revolutionäre Praxis in den Alltag der Menschen, abseits klassisch linksradikaler Strukturen zu integrieren und direkt an der Klasse zu Arbeiten.
Horst Schöppner
War als Antifaschist in den militanten Strukturen der 1980er Jahre aktiv. Er ist Autor des Buches „Antifa heißt Angriff“ und lebt heute – noch immer politisch aktiv – in der Nähe von Stuttgart.