Gemeinsames Papier der Solidaritätsgruppen zu den 129 Verfahren:
Der Anlass dieses Textes sind die verschiedenen, im Jahr 2020 bekannt gewordenen, Komplex-Verfahren nach §129(a) sowie die staatlichen Angriffe auf antifaschistische Strukturen – von Hamburg bis Stuttgart, von Frankfurt über Berlin, bis Leipzig und Weimar.
Wir wollen in diesem Text keine gesamtgesellschaftliche Analyse erarbeiten, sondern die Verfahren vielmehr in einen größeren Kontext der aktuellen Repression einordnen. Unsere gesellschaftlichen Analysen und daraus resultierende Einordnungen sind bei der Diversität der verschiedenen politischen Strömungen zu vielfältig und dadurch teilweise widersprüchlich. Wir schreiben diesen Text – trotz der politischen Differenzen – als einige Beschuldigte und Soli-Strukturen verschiedener Verfahren gemeinsam, als ein Zeichen gegen Repression: Es sind dieselben Bullen und Gesetze, kurz gesagt derselbe Staat, der wenige verfolgt, um die Ideen vieler auf eine bessere Welt zu zerschlagen!
Repression gegen linke und revolutionäre Bewegungen ist nichts Neues und hat eine lange Geschichte. Die Repressionsbehörden in Deutschland bilden im Kampf gegen diese eine geschlossene Linie. Gerade der Verfassungsschutz, der Generalbundesanwalt oder das Bundeskriminalamt gehören zu den Repressionsorganen des Staates, welche die Aufgabe haben, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten und all diejenigen zu verfolgen, die eine Welt frei von Ausbeutung und Unterdrückung aufbauen wollen. Sie verteidigen somit unmittelbar die herrschenden Verhältnisse mit all ihren zerstörerischen Auswirkungen.
Die Akteur:innen staatlicher Repression handeln jedoch nicht isoliert für sich, sondern sie sind exekutiv dafür verantwortlich, die Herrschaft, die aus den gesellschaftlichen und kapitalistischen Kräfteverhältnissen erwächst, zu sichern. Für eine Einordnung der aktuellen, konkreten Repressionsschläge lohnt sich daher ein Blick auf das fortlaufende Elend der Verhältnisse: Reaktionäre und menschenfeindliche Positionen sind konsensfähiger geworden. Sich zunehmend bewaffnende Nazis1 haben zusammen mit Alltagsrassist:innen einen direkten parlamentarischen Ausdruck in der AfD gefunden. Während also die Reaktionären auf der Straße vom Staatsstreich träumen und dafür vorbereitend Waffen sammeln, organisieren sich auch die Rechten innerhalb der Behörden2.
Repression gegen Linke und Antiautoritäre ist immer ein Mittel zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung. Emanzipatorische Ideen, die Ausbeutung und Unterdrückung ablehnen, sind daher immer Ziel staatlicher Angriffe. Dies zeigt sich insbesondere in Bezug auf große Mobilisierungen wie beispielsweise den Anti-G20 Protesten. Gerade vor und nach dem G20-Gipfel 2017 kam es zu zahlreichen Gesetzesverschärfungen und der Ausweitung polizeilicher Befugnisse auf Bundes- und Landesebene. Die Öffentlichkeit wurde vielerorts propagandistisch auf die “Gefahr von Links” eingeschworen. Weitergehend behaupten die Behörden eine vermeintlich steigende Gewaltbereitschaft gegen Personen, wie auch ein gesteigertes Organisations- und Mobilisierungspotential. All dies wird als Gefahr für die bestehende Ordnung ausgelegt.
Die verschiedenen Akteur:innen der staatlichen Maschinerie agieren gemäß ihrer Vor- und Aufgaben. Hierbei zeigt sich, dass die verschiedenen Behörden teilweise besondere Schwerpunktelegen. Zum einen hat der Verfassungsschutz, neben geheimdienstlicher Überwachung und Ausspähung, die Aufgabe, staatsgefährdende Bestrebungen zu prognostizieren. So beschwört er in den letzten Jahren gebetsmühlenartig einen „linken Terrorismus“3 herauf und „warnt“ vor einer zunehmenden Eskalation durch „Linksextremisten“ bis hin zu „terroristischen“ Strukturen4. Diese Nutzung des Terrorismusbegriffs bedient dabei die Hufeisentheorie des Staates, um sein Gewaltmonopol aufrechtzuerhalten. Dazu passende Analysen werden vom BKA angestellt. Aus diesem Geflecht heraus haben das BKA und die Staatsanwaltschaften die Aufgabe der Strafverfolgung inne. Im Umkehrschluss dienen die Verfahren, die gegen Linke und Revolutionär:innen geführt werden, den Behörden als Beleg für ihre Analysen, man kann also von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung sprechen.
Im Zuge dessen wird eine emanzipatorische Bewegung mit größeren Ermittlungsverfahren nach § 129 bzw. § 129a überzogen. Deren Zielsetzung ist eine Schwächung der Bewegung durch Ausspähung, Einschüchterung, Spaltung und soll langfristig eine kollektive Selbstverteidigung der Bewegung in einer krisenbehafteten gesellschaftlichen Situation unterbinden.
Von staatlicher Seite wird deutlich gemacht, dass lediglich staatstragendes und sich integrierendes politisches Verhalten geduldet wird und legitim sein soll. Der Charakter des repressiven Vorgehens wird durch den Generalbundesanwalt5 als explizit politischen Akteur verkörpert. Um in dessen Fokus zu geraten, kann es reichen, politisch widerständig zu denken und zu handeln. Es wird unter anderem durch das Konstrukt vermeintlicher, besonders gefährlicher Anführer:innen versucht, eine Spaltung und Entsolidarisierung innerhalb der emanzipatorischen Bewegung zu erzeugen. Vor allem durch die mediale Dämonisierung und die Reproduktion dessen durch Teile der Gesellschaft – aber auch der Bewegung – soll von der Notwendigkeit unseres Widerstandes abgelenkt und der Öffentlichkeit individuelle Feindbilder geliefert werden. Die hierdurch geschaffene Entpolitisierung erscheint uns als der eigentliche politische Angriff auf uns, jenseits von Haft und Gerichtsverfahren. Es ist ein Angriff auf unsere Inhalte!
WIE KANN ALSO UNSERE ANTWORT ANGESICHTS DER ANGRIFFE DES STAATES AUSSEHEN?
Es ist wichtig, dass die Verfahren und das „wie weiter“ nicht im Verborgenen ausgetragen werden. Anhand der konkreten Fälle der Repression ist es möglich, unsere Inhalte einer breiteren Öffentlichkeit verständlich und auf die heuchlerische Politik der Herrschenden aufmerksam zu machen. Es gibt keine objektive Strafverfolgung. Die angeblich neutrale „Mitte“ und der Staat zeigen ihren tatsächlichen Charakter: Wir haben es mit politischer, ideologischer Repression zu tun, die ein klares Ziel verfolgt. So glauben wir, dass Aufrufe wie Wir sind alle Linx, aber auch die Solidarische Prozessbegleitungsstruktur Soli Antifa Ost6 wichtige Teile einer Strategie sind, die sich offensiv mit der Repression auseinandersetzt und auf eine breitere Resonanz abzielt. Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, Aktionen, Demonstrationen, Kundgebungen und Unterstützung in finanzieller Form zu organisieren. Wir glauben, dass dies eine offene Diskussion ist, an der sich die gesamte Bewegung beteiligen sollte und gemeinsam Verantwortung übernommen werden muss.
Zentral ist zueinander zu halten und die spektrenübergreifende Solidarität aufzubauen! Der Staat und seine Organe greifen an vielen verschiedenen Orten an, denn es geht ihnen um den Kampf gegen Linke und Antiautoritäre im Allgemeinen, von ihnen werden keine dogmatischen Unterscheidungen gemacht. Was uns (über Unterschiede hinweg) eint, ist die Ablehnung derbestehenden Verhältnisse und die Perspektive, eben diese zu überwinden. Die Solidarität untereinander lehnt die Kategorien von „Schuld“ und „Unschuld“ ab. Gleichzeitig wendet sie sich gegen die staatliche Taktik der Spaltung, durch die emanzipatorische Bewegungen entweder integriert und angepasst oder verfolgt werden. Für uns ist klar, dass es keine Versöhnung mit den bestehenden Verhältnissen geben kann.
Unsere Kämpfe werden nicht in den Kategorien von Bullen und Gerichten gefasst, sondern haben ihren Ausdruck im täglichen Kampf zur Umwälzung der bestehenden Verhältnisse. Wir führen unsere vielfältigen Kämpfe für eine Welt ohne Sexismus, Rassismus, Ausbeutung und Unterdrückung – für eine solidarische Gesellschaft jenseits des Kapitalismus! Es ist über dieses Communiqué der Soligruppen hinaus wichtig, in Zukunft die gegenseitige Bezugnahme und den Zusammenhalt auszubauen und praktisch werden zu lassen:
WIR STEHEN HIER UND ÜBERALL ZU UNSEREN GENOSS:INNEN INNERHALB UND AUSSERHALB DER KNÄSTE
GEZEICHNET DIE VERFAHREN:
HAMBURG:
In Hamburg wird gegen einige vermeintliche Mitglieder des Roten Aufbaus ein §129a-Verfahren geführt und gegen die Gruppe und alle, die sie irgendwie dazurechnen ein §129-Verfahren. Dies gipfelte am 31.08.20 in einem großangelegten Repressionsschlag gegen 22 Beschuldigte mit 28 Hausdurchsuchungen und einer Medienkampagne. Dem waren monatelange Ermittlungen mit jeglichen Befugnissen vorangegangen. Verschiedene Akteure fordern ein Verbot, weil der Rote Aufbau unter anderem die Infrastruktur für die militanten G20-Proteste gestellt haben soll. Seit dem gab es vereinzelt erneute Hausdurchsuchungen, Anquatsch- und Einschüchterungsversuche wie Stress auf der Arbeit, Hausbesuche etc.
Weitere Infos: roter-aufbau.de
FRANKFURT AM MAIN:
Nach einem Angriff auf eine Außenstelle des Bundesgerichtshof in Leipzig am 1. Januar 2019 werden Ermittlungen nach §129a eingeleitet. Eine Hausdurchsuchung in Frankfurt folgt 1 1/2 Jahre später.
Weitere Infos: www.129a.info
ANTIFA OST-VERFAHREN:
Im Dezember 2019 werden in der Umgebung von Eisenach fünf Antifaschist:innen festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, gewalttätige Neonazis der Kampfsportgruppe Knockout 51 um Leon Ringl angegriffen zu haben. Als die Bundesanwaltschaft und die Soko Linx des sächsischen LKA auf den Fall aufmerksam werden, ziehen sie die Ermittlungen an sich. Für die Soko Linx, die bislang keinen der Fälle von autonomer Stadtpolitik, derentwegen sie gegründet wurde, auch nur ansatzweise aufklären konnte, ist der Fall ein gefundenes Fressen. Möglicherweise können sie nun endlich Ergebnisse liefern, wenn auch thematisch anders angesiedelt. So konstruieren sie gemeinsam mit der BAW eine kriminelle Vereinigung, erklären Lina zur Anführerin, nehmen sie in U-Haft und versuchen den Beschuldigten eine ganze Reihe an Fällen von handfestem Antifaschismus der letzten Jahre anzulasten, insbesondere die, bei denen eine Frau beteiligt gewesen sein soll. In sechs dieser Fälle, wegen des Vorwurfs nach § 129 und weiterer kleinerer Delikte wird aktuell gegen vier Personen vor dem OLG Dresden verhandelt. Gegen weitere Beschuldigte laufen noch Ermittlungen der Bundesanwaltschaftund der Generalstaatsanwaltschaften Dresden und Gera.
Weitere Infos: www.soli-antifa-ost.org
BERLIN:
Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit Anfang 2019 gegen mehrere Antiautoritäre aus Berlin wegen Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Der Hauptvorwurf, an der Vorbereitung der Krawalle in der Elbchaussee zum G20 in Hamburg beteiligt gewesen sein, wird flankiert von weiteren Ermittlungen zu diversen, hauptsächlich eingestellten, Verfahren in Berliner Kontexten.
Weitere Infos: Link Artikel Athen: de.indymedia.org/node/104881, Link Wanze: kontrapolis.info/823/, Link Hardfacts: kontrapolis.info/586/, Link Update: kontrapolis.info/1905/, Informationsschreiben des GBA: kontrapolis.info/4984/
STUTTGART:
Eine Auseinandersetzung mit Nazis des rechten Betriebsprojekt “Zentrum Automobil” am Rande einer Querdenken- Demonstration ist Auslöser für eine Welle der Repression in Baden-Württemberg. Insgesamt werden 11 Wohnungen durchsucht und die Antifaschisten Jo und Dy inhaftiert. Im September 2021 werden Jo und Dy in einem Indizienprozess zu 4,5 und 5,5 Jahren Haft verurteilt. Die Revision dagegen sowie weitere Verfahren gegen die anderen Betroffenen stehen noch aus.
Weitere Infos: notwendig.org