Vergangenen April begann die Anhörung gegen die Menschenrechts- und Abtreibungsaktivistin Justyna Wydrzyńska im Warschau. Die Anklage lautet u.a. „Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch“, nachdem im Jahr 2021 eine Frau mit einer ungewollten Schwangerschaft Hilfe bei der Organisation ADT suchte, der Wydrzyńska nahesteht. Der Partner der Schwangeren entdeckte die Situation und erstattete daraufhin Anzeige bei der Polizei. Justyna Wydrzyńska drohen drei Jahre Gefägnishaft – und sie ist bei Weitem nicht die einzige Aktivistin für Abtreibung, die mit harten Repressionen in die Enge gedrängt werden soll. In Polen sind Abtreibungen de facto verboten und die Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen ist eine der restriktivsten im europäischen Raum. Im Oktober 2020 verschärfte sich die Situation nochmals massiv: Das polnische Verfassungsgericht verbot fortan, Abtreibungen aufgrund schwerer Fehlbildungen des Fötus durchzuführen. Gesetzlich ist eine Abtreibung in Polen legal, sofern eine Vergewaltigung oder Inzest vorliegt. Doch die Realität gestaltet sich anders: Insbesondere im ländlichen und konservativ geprägten Raum haben Frauen keinen Zugang zu Gynäkolog:innen, die Abtreibungen durchführen. Durch Überzeugung, aber auch durch massiven Druck, Bedrohungen und Repressionen durch Kirche, Regierung und die ProLife-Bewegung verweigern die Ärzt:innen aus Angst den medizinischen Eingriff. Das führt dazu, dass schätzungsweise etwa 100.000 Frauen aus Polen bislang Abtreibungen im Ausland durchgeführt haben. Doch wer sich das leisten kann, sind meist Frauen mit sicherem Einkommen. Die restriktive und frauenverachtende Gesetzgebung ist insofern besonders für Arbeiter:innen und Frauen in prekären Verhältnissen ein harter Schlag ins Gesicht – und die Diskussion um Zugang zu Abtreibung eine klare Klassenfrage. Dass diese Entwicklung nicht neu ist wird an dem Fall von Alicja Tysiac deutlich. Aufgrund einer Augenerkrankung wurde der dreifachen Mutter empfohlen, kein weiteres Mal schwanger zu werden, sofern das Risiko einer Netzhautablösung zu hoch sei – eine Sterilisation sei jedoch laut den behandelnden Ärzt:innen in Polen illegal. Obwohl im polnischen Gesetz das Recht auf Abtreibung bei drohender Lebensgefahr der Frau verankert ist, führte keiner der Ärzt:innen die Abtreibung durch. Tysiac gelang es schließlich durch die Warschauer Föderation für Frauen und Familienplanung ein Attest zu erhalten, das kurz darauf als ungültig abgestempelt wurde und nicht mehr zu gebrauchen war. Alicja Tysiac erblindete nahezu vollstänig nach der Geburt ihrer Tochter. Als sie die Ärzte auf Schadensersatz verklagte, befand das Gericht keinen Behandlungsfehler und wies die Klage ab.
Die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Polen weisen lange schon eine Verschärfung der klassenfeindlichen Agenda auf: Zuletzt durch die derzeitige Regierungspartei PiS, die mit ihrer rechtskonservativen, faschistoiden Ausrichtung die Idee einer nationalen Einheit befeuert und die Bevölkerung mit rassistischen und frauenfeindlichen Narrativen füttert. Es gelang der Regierungspartei sowohl die Justiz als auch die Medien zu Marionetten ihrer Interessen zu machen – so ist es auch kein Wunder, dass unter diesem Kurs eines der elementarsten und wichtigsten Rechte der Frau entrissen wurde. Dass die PiS Partei mit hochrangigen Vertretern der Kirche mitmischt, ist daher auch nicht überraschend. Wenn die katholische Kirche in eigenen Veröffentlichungen von „gastfreundlichen Patriotismus“ spricht, ist damit keinesfalls etwa die Aufnahme syrischer Kriegsgeflüchteter beabsichtigt – genauso wenig ist mit dem „Erhalt von Leben“ ein menschenwürdiger Umgang mit Frauen gemeint. Der Machterhalt von Kirche und Staat ist unmittelbar an heteronormative Gesellschaftsvorstellungen geknüpft, innerhalb derer die Frau als Kategorie im binären Geschlechtersystem erhalten bleiben muss, um die kapitalistische Arbeitsteilung in Produktion und Reproduktion zu bewahren. Ohne diese Zweiteilung wird dem Kapitalismus sein Nährboden, seine Selbstversorgung gekappt. Die Beherrschung der Körper und ihrer Geschlechtlichkeit muss als Herrschaftsinstrument verstanden werden und wird legitimiert, indem die Frau in ihrer Funktion als Mutter oder Ehefrau mystifiziert wird und ihr Körper lediglich eine Stätte der Reproduktion darstellt. Indes kann die Kirche ihre Einflussnahme auf gesellschaftliche Prozesse und Entschiedungen nur dann umsetzen, wenn ihr wohlgesonnene Verbündete aus der Regierung dabei behilflich sind. Die patriarchale Ausrichtung der Kirche und der Regierung begünstigt den Schulterschluss, der verheerende Auswirkungen für Frauen mit sich bringt.
Wir stehen solidarisch hinter unseren Schwestern in Polen, die mit unglaublich viel Mut, Willensstärke und Durchhaltevermögen betroffenen Frauen helfen, unsere Forderungen laut machen und sich gegen Patriarchat und Kapitalismus stellen! Feuer und Flamme der Kirche und den korrupten Regierungen – in Polen und weltweit!