5 Jahre Hanau: Redebeitrag

Am 19. Februar jährte sich der rassistische Anschlag von Hanau zum 5. Mal. Und das inmitten eines Wahlkampfs der kaum rassistischer sein könnte. Während die Krisen der Gesellschaft auf dem Rücken von Migrant*innen ausgetragen werden, liegt die wahre Bedrohung im Rechtsruck.

Hanau zeigt uns schmerzlich wozu Rassismus führt. Deshalb haben wir uns an der Kundgebung zum Hanau-Gedenken in Mainz beteiligt. Es folgt unser Redebeitrag:

„5 Jahre sind vergangen seit dem rassistischen Anschlag in Hanau. 5 Jahre ist es her, dass der polizeibekannte Rechtsextremist Tobias R. neun Menschen ermordet hat. Ferhat, Mercedes, Gökhan, Hamza, Said, Kaloyan, Fatih, Vili und Sedat. Ich werde nie vergessen, wie ich mich an diesem Tag gefühlt habe. Rassisten kannte ich mein Leben lang genug. Stärker sein und darüber stehen sollte die Lösung sein. Und dann war der 19. Februar 2020. Der Anschlag von Hanau, nach dem nichts mehr sein konnte, wie es vorher war. Die Stärke, die man Blicken und Sprüchen entgegensetzen kann, ist wirkungslos, wenn es statt Blicken und Sprüchen plötzlich Schüsse sind.

Rassismus war immer tödlich. Rassismus wird immer tödlich sein. Der 19. Februar macht das sehr deutlich. Bis heute zerreißt es mein Herz, dabei kann ich mir nicht im Ansatz vorstellen, welches Leid die Angehörigen der Ermordeten seitdem erfahren, die seit 5 Jahren unermüdlich gegen das Vergessen kämpfen. Vorallem weil man ihnen keine andere Wahl ließ. Während am 19. Februar kurz der Eindruck entstand, die Gesellschaft stünde für einen Moment still, hat Rassismus 5 Jahre später Hochkonjunktur. Deutschland hat wieder einmal nichts gelernt.

Es ist kein Zufall, dass ein solcher Anschlag eine Shishabar trifft. Die Migra-Community blickt oft auf eine Familiengeschichte von Flucht oder sogenannter „Gastarbeit“. Die Gastarbeiter*innen, die ganze Leben in Koffern verstauen mussten, von der Hoffnung auf ein besseres Leben getrieben, trafen auf eine Gesellschaft in der ihre Identität, Sprache, Kultur und Träume nichts wert waren. Der deutsche Traum wurde für viele zum Albtraum. Schlecht bezahlt arbeiten bis zum Umfallen, und dafür am liebsten dankbar und demütig sein. Im Stich gelassen von einer Gesellschaft, die mit Chancen und Gastfreundschaft warb, von Anfang an aber deutlich machte in ihnen keine Gäste zu sehen, sondern Knechte. Trotz allem schufen sich Migras von Zeit zu Zeit Räume des Rückzugs und der Gemeinschaft: politische Initiativen Kulturvereine, Musikcafes, Shishabars.

Shishabars repräsentieren einen Teil der Gesellschaft, der von Migrationsgeschichte geprägt ist, Geschichten zwischen Resignation und Widerstand, zwischen Fremde und Heimat, zwischen Zurückweisung und Hoffnung. Geschichten, die für Rassisten keinen Wert haben, weil sie angeblich nicht deutsch sind, was auch immer das heißt. Rassistische Narrative und Repression folgen. Ständige Razzien, die angeblich organisierter Kriminalität gewidmet sind. Sogenannter Clan-Kriminalität, ein im Kern rassistischer Begriff, der zwischen deutschen und ausländischen Kriminellen unterscheiden will, während erste Einzelfälle sind, letztere bekämen das irgendwie in die Wiege gelegt.

Es ist genau dieser Rassismus, der den Hass auf Orte schürt, die eigentlich für Gemeinschaft stehen. Es ist dieser Rassismus, der dazu führte, dass 9 Menschen in Hanau ermordet wurden. In einer Shishabar, die als Teil migrantischer Kultur in Deutschland zur Zielscheibe wurde. Tobias R. hat in Hanau geschossen, es ist aber der Rassismus in der Gesellschaft, der schließlich tötet. Und es war derselbe Rassismus, der dafür sorgte, dass der Rettungsausgang bei einem der Tatorte verschlossen war. Zuvor angeordnet durch die Polizei, im Interesse von „Recht und Ordnung“ und effizienteren Razzien.

Die Rolle der Polizei bei diesem Anschlag wird immer wieder diskutiert, die Details kennt ihr, ich verzichte darauf den Komplex näher zu beschreiben. Ergebnis der Debatte: die Polizei hätte in Hanau versagt. Dem widerspreche ich. Wer von Versagen spricht, nimmt an, es sei die Aufgabe der Polizei Menschen zu schützen. In diesem System schützt die Polizei allerdings keine Menschen, sondern das System selbst. Wir hassen also Bullen nicht, weil sie Gesetze brechen, sondern gerade weil sie die Gesetze dieses Staates durchsetzen. Weil sie Menschen abschieben, wenn es legal ist, weil sie Menschen in Not aus ihrer Wohnung prügeln, um Eigentum zu schützen, und weil sie sich per Diensteid dazu verpflichten, dieses System aufrecht zu erhalten, unter Einsatz von Gewalt all diejenigen bekämpfen müssen, die sich für ein Ende dieses Systems einsetzen.

Die Polizei kann und soll uns nicht schützen. Die Konsequenz aus Hanau kann nicht sein, bei einem Staat nach Konsequenzen zu fragen, der selbst die Verantwortung für unser Elend trägt, indem er dem Kapitalismus, statt den Menschen dient. Unsere Konsequenz lautet klar: Wir müssen uns selbst schützen, indem wir uns vernetzen und organisieren. Gegen Rassismus, gegen Faschismus, gegen den Kapitalismus, gegen diesen Staat, die Polizei und alle Verhältnisse, die zu Unterdrückung und Elend führen.

Wir gedenken der Opfer von Hanau. Doch gedenken allein reicht nicht! Gedenken heißt für uns dafür zu kämpfen, dass sich rechte Morde nicht wiederholen. Gedenken heißt Rassismus bekämpfen. Nicht zuzulassen, wenn sich der Faschismus in Parlamenten und auf den Straßen verbreitet. Nicht zuzulassen, wenn bürgerliche Parteien von irgendwelchen Brandmauern gegen Rechts schwafeln, während rechte Politik längst umgesetzt wird. Während sich öffentlich gestritten wird, wer jetzt am schnellsten abschiebt.

Der Diskurs steht bereits so weit rechts, dass man nur noch unter dem Mikroskop erkennt, wer jetzt eigentlich rassistischer als der Andere ist. Es darf in der Welle an Protest nicht länger nur um die AfD gehen, sondern um Inhalte. Es geht nicht darum unter welchen Umständen Abschiebungen ok sind, denn sie sind es nie. Abschiebung ist rassistische und menschenfeindliche Praxis. Und Migration als Lösung für den sogenanneten Fachkräftemangel zu befürworten, ist nicht weniger rassistisch. Menschen müssen nicht erst verwertbar sein, um ein sicheres und freies Leben zu verdienen.

Wir stellen uns jedem Rassismus entschieden entgegen, Wir sagen diesem Staat und seinem System der Ausbeutung und Spaltung entschieden den Kampf an. Jeder Ausweg führt raus aus diesen Verhältnissen. Und eben diese Verhältnisse lassen sich nicht abwählen.

Deshalb treten wir als Rotes Mainz für eine revolutionäre Lösung ein.

Für ein Ende rassistischer Gewalt.

Für eine Gegenmacht, die mit der Ohnmacht bricht, und es mit den herrschenden Verhältnissen aufnehmen kann!“ 🚩