Unterdrückung und Widerstand – Sahrauische Frauen in den besetzten Gebieten

Text freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Bernd Roth

Wer mehr über die Geschichte der Westsahara und den dortigen Widerstand lernen möchte, ist herzlich eingeladen, am 14. Februar 2025 um 19 Uhr in der Schönstraße 28 in Frankfurt am Main die Comiclesung „Genug gewartet.“ mit anschließendem Vortrag zu diesem Thema zu besuchen.

Legalisierte Unterdrückung – Rechtliche Grundlage der Repression

Die Verfassung Marokkos legt drei rote Linien fest, die die freie Meinungsäußerung einschränken. Wer eine dieser Grenzen überschreitet, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Diese Linien zielen darauf ab, Angriffe auf die islamische Religion, die Monarchie sowie die territoriale Einheit Marokkos zu verhindern. Besonders relevant für die Westsahara ist die Frage, was im Kontext der Verfassung als Angriff auf die territoriale Einheit Marokkos interpretiert wird.

Laut Human Rights Watch wird diese Formulierung in der Praxis maßgeblich verwendet, um kritische Stimmen zur Westsaharapolitik des Königreichs zu unterdrücken. Es ist verfassungsrechtlich somit untersagt, die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko infrage zu stellen. Diese Einschränkungen zeigen sich auch im Vereinigungs- und Presserecht des Königreichs. Vereinigungen, die nach gerichtlicher Einschätzung die territoriale Einheit infrage stellen, riskieren Kriminalisierung und Auflösung. Im Bereich des Presserechts drohen Gefängnis- und Geldstrafen für die Veröffentlichung von Artikeln, die von der staatlichen Position zur Westsahara abweichen. Diese juristische Ausgangslage beschwert besonders in den besetzten Gebieten lebenden sahrauischen Aktivistinnen ihre Arbeit. Sie müssen mit willkürlichen Verhaftungen und Haftstrafen rechnen, die wie Amnesty International berichtet nicht selten von Folter und Misshandlungen geprägt sind. Im Jahr 2021 deckte die NGO zusätzlich die umfangreiche Nutzung der Spyware Pegasus durch das marokkanische Königshaus auf. Mehrere sahrauische Aktivistinnen wurden mit Hilfe der israelischen Software überwacht und ausspioniert. Nachdem der Fall international für Schlagzeilen sorgte, versuchte Marokko, die unliebsame Berichterstattung gerichtlich zu unterbinden und verlor dabei unter anderen gegen mehrere deutsche Zeitungen. Marokko beschränkt seinen Einfluss und seine Repressionen nicht nur auf das eigene Staatsgebiet oder die besetzte Westsahara, sondern setzt auch politische und juristische Mittel ein, um weltweit oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Aktivismus unter Besatzung – Der Fall Sultana Khaya

Sultana Khaya ist eine prominente sahrauische Aktivistin, die sich für die Selbstbestimmung des sahrauischen Volkes einsetzt. Sie ist Vorsitzende der Liga zur Verteidigung der Menschenrechte
und gegen die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Mitglied von ISACOM, einer Gruppe, die gegen die marokkanische Repression kämpft. Aus diesem Grund ist sie seit Jahrzehnten staatlicher Repression ausgeliefert. Bereits im Jahr 2007 verlor sie im Rahmen einer Demonstration ein Auge, nachdem sie durch einen Anhänger des Königshauses angegriffen wurde. Obwohl ihr Leben von Repression und staatlicher Gewalt geprägt ist, zählt sie bis heute zu den wichtigsten Stimmen der in den besetzten Gebieten lebenden Sahrauis. In einem sehr lesenswerten Interview mit Qantara wird sie mit folgenden Worten zitiert: „Ich engagiere mich seit 2005 in der friedlichen Intifada der Freiheit und Unabhängigkeit. Aber was ich tue, ist nichts Besonderes, sondern das, was die meisten sahrauischen Frauen tun: Sich der Unterdrückung und Besatzung gewaltfrei zu widersetzen.“. Entgegen ihrer eigenen Einschätzung lassen sowohl die Art ihres Widerstands als auch die staatliche Reaktion darauf erkennen, dass ihre Situation durchaus außergewöhnlich ist. Besonders die Zeit ihres Hausarrests ist ein eindrucksvolles Zeugnis dafür.

Am 19. November 2020 wurde Sultana Khaya durch stationierte Polizeieinheiten vor ihrer Tür unter Hausarrest gestellt. Polizei- und Sicherheitskräfte blockierten den Zugang zu ihrem Haus und verhinderten, dass die Familie es verlassen konnte. Verwandte hatten häufig keine Möglichkeit, dringend benötigte Versorgungsgüter zu liefern. Bei ihren Versuchen, das Haus zu verlassen, wurde Sultana Khaya immer wieder bedroht und körperlich angegriffen. Zusätzlich sah sich die Aktivistin willkürlichen Hausdurchsuchungen ausgesetzt. Am 10. und 12. Mai 2021 wurde das Haus von Sultana Khaya innerhalb von 48 Stunden gleich zweimal durchsucht. Während dieser Razzien traten Sicherheitskräfte ihr mehrfach in den Genitalbereich und fügten ihrer Schwester mit einem Schlagstock Verletzungen an derselben Stelle zu. Dies war nicht der einzige Fall, in dem die Behörden sexualisierte Gewalt einsetzten, um sie einzuschüchtern.

Am 15. November 2021 drangen zivilgekleidete Sicherheitskräfte erneut in das Haus der sahrauischen Aktivistin ein, die zu dem Zeitpunkt bereits ein Jahr mit ihrer Familie unter Hausarrest stand. Laut ihrer Aussage wurde sie bei diesem Übergriff von mehreren Männern fixiert und vergewaltigt, während ihre Schwestern und ihre Mutter ebenfalls Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Sultana Khaya berichtete von Verletzungen, doch die Möglichkeit, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, blieb ihr verwehrt, da sie durch den erzwungenen Hausarrest am Verlassen ihres Hauses gehindert wurde. Dies alles hinderte sie und ihre Schwestern nicht daran, täglich eine symbolische Demonstration auf dem Dach ihres Hauses durchzuführen, um für die Selbstbestimmung des sahrauischen Volkes einzutreten. Dabei schwenkten sie eine Viertelstunde lang die sahrauische Flagge, unabhängig von den Wetterbedingungen, und filmten ihre Aktion, um sie weltweit zu verbreiten. Mit dieser Geste wollten sie die Fortsetzung des sahrauischen Widerstands betonen und ein Zeichen der Hoffnung und Entschlossenheit setzen. Die Aktivistin erklärte, dass sie dies auch stellvertretend für alle sahrauischen Frauen tat, um deren Rolle im Freiheitskampf zu unterstreichen. Zeitgleich betont Sultana Khaya allerding auch ihr Verständnis für den bewaffneten Kampf der POLISARIO.

Trotz der andauernden Maßnahmen gegen sie und ihre Familie wurde kein Haftbefehl oder eine rechtliche Grundlage für den Hausarrest vorgelegt. Am 30. Mai 2022 konnte die Aktivistin nach 557 Tagen erstmals ihr Zuhause verlassen, um medizinische Hilfe für die körperlichen und seelischen Belastungen zu erhalten, die sie durch die Polizeigewalt erlitten hatte. Dies geschah jedoch nicht in Marokko, sondern erst, nachdem sie die Möglichkeit erhalten hatte, auf die Kanarischen Inseln auszureisen.


Geschlechterspezifische Gewalt als Instrument der Besatzung

Der im Jahr 2024 veröffentlichte Bericht Resilience In Resistance aus den besetzten Gebieten zeigt deutlich, dass das Schicksal von Sultana Khaya kein Einzelfall ist, sondern Teil eines systematischen Vorgehens. Der Bericht dokumentiert, dass sahrauische Frauen nach ungerechten Gerichtsverfahren katastrophalen Haftbedingungen ausgesetzt sind, die sowohl physische als auch psychologische Folter umfassen. Während Demonstrationen kommt es immer wieder zu Demütigungen, bei denen Sicherheitskräfte den Frauen ihre traditionelle Kleidung herunterreißen oder sie sexuell belästigen. Besonders politisch aktive Frauen sind in und außerhalb der Gefängnisse sexualisierter Gewalt in all ihren Formen ausgesetzt.

Zusätzlich nutzt der marokkanische Staat wirtschaftliche Taktiken, um den Widerstand der Frauen zu brechen. Ihnen wird systematisch die Möglichkeit verweigert, Unternehmen zu gründen oder sich anderweitig wirtschaftlich unabhängig zu machen. Die Behörden verschärfen gezielt ihre ökonomisch prekäre Lage, um die Frauen arm und damit noch abhängiger zu halten. Ein weiterer Aspekt der Unterdrückung sind mediale Diffamierungskampagnen. Tausende Social-Media-Accounts verbreiten im Auftrag des Königshauses gezielt Falschinformationen über die Frauen und ihr Leben. Diese Kampagnen haben schwerwiegende Folgen, da sie die soziale Stellung der Frauen innerhalb der sahrauischen Gemeinschaft untergraben. Dabei werden traditionelle, patriarchale Normen bedient, um die Frauen zu isolieren und als Außenseiterinnen zu brandmarken. Oft werden sie als schlechte Mütter, Töchter oder Ehefrauen dargestellt, was die patriarchalen Grundzüge dieser Methoden deutlich macht.
Häufig werden Frauen auch erpresst: Sicherheitskräfte stehlen intime Fotos oder Nachrichten von ihren Mobiltelefonen, die etwa bei Demonstrationen konfisziert wurden. Mit der Drohung, diese Bilder zu veröffentlichen, wird zusätzlicher psychischer Druck auf die Frauen ausgeübt. Diese anhaltende Schikane bleibt nicht ohne Folgen. Viele Frauen sind traumatisiert und benötigen dringend medizinische und psychologische Unterstützung. Doch aufgrund der engen Verflechtung medizinischer Einrichtungen mit dem marokkanischen Staat können sie sich an diese nicht wenden. Die eigene Community bleibt oft der einzige Ort, an dem Heilung und Unterstützung möglich sind.

Der Kampf gegen die Besetzung und Kolonialisierung der Westsahara sowie weltweit ist untrennbar mit dem Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt verbunden. Daher ist der Bericht treffend mit „To Sahrawi women and to all women living under occupation“ adressiert. Dieser internationalistische Kerngedanke der unter der Besetzung lebenden und leidenden sahrauischen Frauen sollte eine Inspiration für alle progressiven Kräfte sein, sich entschieden gegen Besetzung und Kolonialismus in der Westsahara und weltweit zu positionieren.


Quellen und Verweise:
1. Marokkanische Gesetzgebung, Menschenrechte: https://www.hrw.org/report/2008/12/19/human-rights-western-sahara-and-tindouf-refugee-camps
2. Menschenrechte, Spionage:
https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/marokko-2021#section-23471525
3. Interview mit Sultana Khaya:
https://qantara.de/artikel/westsahara-konflikt-eines-tages-werden-wir-frei-sein
4. Der Fall Sultana Khaya:
https://www.frontlinedefenders.org/en/case/woman-human-rights-defender-sultana-khaya-was-sexually-assaulted
5. Bericht: Resilience in Resistance
https://www.hhri.org/wp-content/uploads/2024/11/Resilience-in-Resistance-Report.pdf