ARAG: Widerstand gegen rechts – im Dienst des Kapitals?

Gastbeitrag der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Giessen

„Wie will nun jemand die Wahrheit über den Faschismus sagen, gegen den er ist, wenn er nichts gegen den Kapitalismus sagen will, der ihn hervorbringt?“ (Berthold Brecht 1935; Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit)

Die Anti-AfD-Proteste flammen derzeit als Wahlkampfveranstaltungen für SPD, Grüne und die Linke wieder auf. Bereits Anfang 2024 gingen bundesweit kurzzeitig hunderttausende Menschen auf die Straße, nachdem das Correctiv-Magazin die bekanntermaßen menschenverachtende Politik der AfD nochmal bestätigt hatte. Auch in Gießen mobilisierte ein breites Bündnis, darunter Grüne Jugend und Jusos, zu einer Demonstration unter dem reaktionären Motto „Nie wieder ist jetzt“ – dem Slogan der Befürworter des israelischen Rachefeldzugs.

Der wahre Zweck der Veranstaltung war klar: Das ramponierte Image der Ampel-Parteien sollte aufpoliert werden. Um dem Ganzen einen kritischen Anstrich zu verleihen, wurden wir gebeten, unser Logo unter den Aufruf zu setzen. Die stimmenlose Teilnahme an einer regierungsfreundlichen Demonstration – ein Bild, das man sonst eher aus Autokratien kennt – haben wir dankend abgelehnt. In einer Stellungnahme entlarvten wir die Doppelmoral der Veranstalter und stellten klar: Protest gegen die AfD ist notwendig, aber ein wokes Anti-AfD-Happening im Schulterschluss mit den Regierungsparteien ist kein Mittel im antifaschistischen Kampf.

Die immer größeren Wahlerfolge der AfD zeigen, dass dieser Schulterschluss gescheitert ist. Doch wie ist der Charakter dieser Proteste insgesamt zu bewerten? Steht der Faschismus tatsächlich unmittelbar vor der Tür? Oder erleben wir eine Staatsfaschisierung, die auch ohne AfD-Regierungsbeteiligung voranschreitet?


Faschismus an der Macht


Ein erster Schritt, um aus dieser Sackgasse herauszukommen, besteht darin Klarheit darüber zu verschaffen, wen oder was man eigentlich bekämpft (bzw. bekämpfen sollte), wenn man „gegen Faschismus“ auf die Straße geht. Der deutsche Faschismus war die offen terroristische Herrschaft der reaktionärsten, imperialistischsten Kapitalfraktionen. Aufgrund des Erstarkens der kommunistischen Partei nach der Wirtschaftskrise 1929 wurden die Faschisten an die Macht gebracht, um einerseits mit einem imperialistischen Krieg ein Kolonialreich in Europa zu errichten und andererseits die linke Opposition im Landesinneren auszuschalten. Die Gewinne sollten schließlich nach der Wirtschaftskrise endlich wieder sprudeln. Zusammenfassend lässt sich Faschismus damit als Extremform bürgerlicher Herrschaft charakterisieren.


Staatsfaschisierung und Verengung des Meinungskorridors


Denn führende Kapitalfraktionen wollen den Aufstieg der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) im Zweifel mit militärischen Mitteln stoppen und diese Kriegspolitik finanziert sich nur durch massiven Sozialabbau.

Bereits seit Jahren lässt sich eine Staatsfaschisierung beobachten, im Zuge derer nach Innen und Außen aufgerüstet wird. Die Verschärfung der kapitalistischen Krise und die Eskalation des Ukrainekriegs sind Öl ins Feuer dieser Entwicklung. Um Proteste gegen diese Politik zu unterdrücken, wird der Staat vorsorglich autoritär umgebaut: demokratische Rechte werden massiv eingeschränkt und der repressive Staatsapparat so stark ausgebaut, dass die Herrschenden ihre Kriegspolitik ungehindert verfolgen können. Diese „Zeitenwende im Inneren“ soll den militärischen Erfolg nach außen absichern.

Die SPD spielt bei der „Zeitenwende“ vergleichsweise noch eine leicht bremsende Rolle. Zwar steht sie klar hinter der NATO und ist sich darin einig, dass die Russische Föderation der Feind ist. Allerdings herrscht Uneinigkeit darüber, wie weit sie die Zerschlagung der Reste des Sozialstaats vorantreiben kann, um die Kriegskasse der Bundeswehr und Rüstungskonzerne zu füllen, ohne dabei ihre ohnehin schwindende Basis und Wählerschaft endgültig zu verlieren.

Andere bürgerliche Parteien positionieren sich bereits deutlicher. Große Teile der Grünen, CDU und des transatlantisch orientierten Flügels der AfD versuchen, die Zeitenwende so schnell es geht voranzutreiben. Die (Ex-)Ampel Regierung hat bereits entscheidende Maßnahmen umgesetzt: Polizei und Geheimdienste erhalten immer umfassendere Befugnisse, das Militär wird massiv aufgerüstet, Demonstrationsrechte eingeschränkt, und israelische wie ukrainische Faschisten im Namen der westlichen Weltordnung mit Waffen ausgestattet. Wer das kritisiert, wird als Putin-Faschist oder Antisemit bezeichnet und gecancelt. In ganz Deutschland finden woke Hexenjagden auf linke Strukturen statt. Eine solche ist uns auch in Gießen in Form von absurden Antisemitismusvorwürfen nach Beteiligung an einer liberal-entpolitisierten Hanau-Demo nicht erspart geblieben. Willfährige Helfer stellen bei all dem die bürgerlichen Medien, deren überwiegende Mehrheit freiwillig zur Zeitenwende bläst.

Die Angst vor der AfD ist nachvollziehbar und sich am Protest gegen sie zu beteiligen, geschieht sicher in bester Absicht. Die Funktion, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ampel-Antifa-Proteste allerdings erfüllten, war antifaschistische Begleitmusik zum Abbau der bürgerlichen Demokratie durch Grüne, FDP und SPD – nicht durch die AfD – zu spielen.


Ampel-Antifa, Merz-CDU und Weidel-AfD verfolgen de facto das gleiche Projekt: die autoritäre Verteidigung der Vormachtstellung des Westens.


Sie streiten sich jedoch darum, wie das Ziel am besten zu erreichen ist. Auch die Weidel-AfD vertritt den militärisch-industriellen Komplex und steht für Wehrpflicht, Demokratieabbau und Aufrüstung. Sie möchte aber zumindest den Versuch wagen, Russland und Indien aus dem BRICS-Bündnis herauszubrechen und die Kräfte auf die Bekämpfung der verbliebenen BCS zu konzentrieren.

Streit besteht zudem noch über die ideologische Rechtfertigung der Kriegsvorbereitung. Sollte man Demokratieabbau und Militarismus lieber einen fortschrittlichen Anstrich verpassen (Grüne: „Kampf gegen Rechts“, „Kampf gegen Autokratien“)? Oder komme man nicht schneller ans Ziel, wenn man das Menschenrechts-bla-bla gleich links liegen lässt (CDU und AfD). Dieses könnte schließlich einmal zum ideologischen Ballast werden. Dann doch lieber das Pflaster schnell und schmerzlos abziehen und gleich offen reaktionär auftreten. Aktuell scheint es so, als würde der offen reaktionäre Flügel zunehmend die Oberhand gewinnen – insbesondere angesichts des Genozids in Gaza, der jede Rhetorik über Menschenrechte ad absurdum führt.

Während die Widersprüche innerhalb des Zeitenwende-Blocks jedoch grundsätzlich überwindbar scheinen und Mischformen aus offen reaktionärem und progressivem Auftreten, etwa in Form einer schwarz-grünen Regierung, durchaus vorstellbar sind, verfolgt der faschistische Höcke-Flügel ein damit unvereinbares Projekt. Dieser strebt nicht nur die ethnische Säuberung von allen vermeintlich „nicht-deutschen“ Menschen an, sondern auch den Rückzug aus NATO, EU und anderen westlichen Bündnisstrukturen. Statt Verteidigung der westlichen Vormachtstellung setzt er auf die Eingliederung Deutschlands in die entstehende multipolare Weltordnung und den weiteren Handel mit Russland und China. Damit repräsentiert er vor allem den Teil des mittelständischen Industriekapitals, der durch hohe Gaspreise und den Verlust wichtiger Handelspartner existenziell bedroht ist und in seiner Verzweiflung irrational nach gnadenloser Barbarei im Inland schreit. Eine solche Politik wollen die herrschenden Kapitalfraktionen jedoch ausdrücklich nicht: Sie setzen auf die Verteidigung der westlichen Vormachtstellung und die konsequente Durchsetzung der Zeitenwende. Entsprechend hart versucht die Repression des Staatsapparats die Faschisten des Höcke-Flügels zu treffen und überlässt dabei nichts dem Zufall. Während etwa das rechte Compact-Magazin mit dem Verbotsversuch massiv unter Druck gesetzt wurde, bleiben Weidel-nahe Medien wie die Junge Freiheit unbehelligt. Mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche soll die AfD dazu gebracht werden, sich zu „Melonisieren“ – also dem Vorbild der Partei Giorgia Melonis aus Italien zu folgen: rhetorisch gemäßigter, loyal zum Westen, aber weiterhin autoritär und militaristisch. Das Ziel ist klar: Die AfD soll sich als verlässlicher Akteur etablieren, um im Zweifel in Regierungsverantwortung das herrschende Projekt der Zeitenwende mittragen zu können.

Die Versuche der strategischen Einbindung der AfD in die autoritäre Zeitenwende zeigen, dass der eigentliche Konflikt nicht zwischen Baerbock und Weidel, zwischen Grünen und AfD verläuft. Das wird jedoch völlig von den Organisatoren der woken Anti-AfD-Proteste ignoriert. Sie zeigen, wie leicht sich vermeintlich antifaschistischer Protest in den Dienst der herrschenden Verhältnisse stellen lässt, wenn keine Klarheit darüber besteht, was Faschismus überhaupt ist. Indem sie die autoritäre Politik von Krieg, Demokratieabbau und Militarisierung mindestens mittragen, oft sogar aktiv verteidigen, werden sie zum Werkzeug der Parteien, die aktuell die Staatsfaschisierung vorantreiben. Antifaschismus, der aufgrund von begrifflicher Blindheit mit geschlossenen Augen kämpft, schlägt im besten Fall ins Leere. Leider trifft das blinde Umherschlagen aktuell vor allem Antifaschistinnen und Antifaschisten, denen der Schwur von Buchenwald noch was wert ist: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“.