Auflösungserklärung RED

„Wir sind gekommen, um zu bleiben“ – Das waren die Worte, die den Auftakt zu unserer politischen Arbeit als Gruppe „Revolutionäre Einheit Darmstadt“ geben sollten. Getrieben von dem Wunsch nach Veränderung und dem Mut, neue Wege zu bestreiten, haben wir uns große Ziele gesetzt. Jetzt, über drei Jahre später, wollen wir unser Versprechen erneuern: Keine:r von uns wird aufhören, für eine bessere Welt jenseits der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu kämpfen, ehe wir unsere Ziele nicht erreicht haben. Doch werden unsere Kämpfe in Zukunft an anderer Stelle stattfinden. Es ist Zeit, dass wir uns der Realität stellen und bekannt geben, dass sich unsere Gruppe, RED, auflöst.

Den Entschluss, die Gruppe aufzulösen, haben wir nach reichlich Überlegung im Konsens gefasst. Dahinter steht ein langer Prozess, in dem wir unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten abgewogen haben. Uns ist es wichtig, zu betonen, dass es gerade jetzt – in Zeiten, in denen immer mehr Menschen am Existenzminimum kratzen, der Klimawandel Lebensgrundlagen zerstört, wieder fleißig aufgerüstet wird und sich rechte Ideologien so schnell verbreiten wie lange nicht mehr – wichtig ist, laut zu werden, zu handeln und sich politisch zu organisieren. Warum wir uns in dieser Situation dennoch dazu entschieden haben, diesen Schritt zu gehen, werden wir im folgenden Text darlegen.

Mit der Zeit ist unser kommunistisches Bewusstsein gewachsen. Obwohl wir uns von Anfang an von den klassischen autonomen Antifa-Strukturen abgrenzen wollten, haben wir nur unzureichend verstanden, was eine kontinuierliche, revolutionäre Praxis im Gegensatz dazu überhaupt bedeutet. Was wir in den Anfangszeiten als politische Praxis verstanden haben, gleicht in Retrospektive allenfalls subkulturellen Praktiken. Was wir bieten konnten, war ein Anschluss an eine Szene und das obwohl wir uns doch so sehr von Szenepolitik abgrenzen wollten. Unser Verständnis dafür, dass es mehr braucht als die richtige Ästhetik und die Bereitschaft, sich auf Demos zu hauen, ist jedoch mit der Zeit gewachsen. Dafür war Kritik von außen, ein Austausch mit anderen linken Gruppen und die Diskussionen mit neuen Genoss:innen mehr als hilfreich.

Jedoch haben wir es verpasst, diese Gelegenheit zu nutzen, um uns weitgehender kritisch mit der Entstehungshistorie unserer Gruppe auseinanderzusetzen. Die „erste Generation“ der Gruppe bestand größtenteils aus politisch-unerfahrenen Männern, die daran scheiterten, die Vorwürfe wegen psychischer Gewalt im Kontext einer romantischen Beziehung, die gegen ein Gruppenmitglied erhoben wurden, ernst zu nehmen und angemessen aufzuarbeiten. Dies ist einerseits auf mangelndes feministisches Bewusstsein und andererseits auf die Unerfahrenheit zurückzuführen. Nachdem sich die Gruppe umstrukturierte, schied ein Großteil von ihnen aus der Arbeit aus. Nicht aber das beschuldigte Gruppenmitglied. Er verließ erst wenige Monate später aus eigenem Antrieb die Gruppe.

Nachdem die „erste Generation“ der Gruppe versagt hat, den Vorwürfen gerecht zu werden, war es die Verantwortung von uns, späteren Gruppenmitgliedern, mehr nachzuhaken und kritischer zu hinterfragen, wie in der Vergangenheit mit den Täterschaftsvorwürfen umgegangen wurde. Insbesondere die Initiative von weiblichen Genossinnen war notwendig, um uns dieser Reflexion zu stellen. Viel zu spät haben wir die notwendigen Maßnahmen ergriffen, die für uns in diesem Kontext noch möglich waren.

Wir haben mangelndes feministisches Bewusstsein, sowie informelle männliche Hierarchien innerhalb unserer Gruppe als die zentralen Aspekte identifiziert, die unsere Aufarbeitung behindert haben. Unser Ziel war es, mittels unterschiedlicher Maßnahmen diesen Tendenzen entgegenzuwirken. Durch die Formalisierung von Hierarchien und Zuständigkeiten, wollten wir den informellen Männerbünden entgegenwirken. Eine kontinuierliche Praxis von Kritik und Selbstkritik sollte der Verschleierung von Problemen entgegenwirken, uns in aufrichtiger Genoss:innenschaftlichkeit schulen und das Vertrauen ineinander wieder stärken. Feministische Schwerpunkte in unserer Bildung sollten die Wissenslücken füllen und von dem Austausch mit befreundeten Strukturen wollten wir lernen.

Durch diese Veränderungen ist unsere politische Arbeit auf eine gewisse Weise ernsthafter und verbindlicher geworden. Nun war für alle klar, dass Kommunist:in sein nicht bloß ein Label ist, das man sich nach Belieben verleihen kann, sondern eine Persönlichkeitsentwicklung und die Bereitschaft, sich mit eigenen liberalen und patriarchalen Verhaltensweisen auseinanderzusetzen, voraussetzt. Im Zuge dieses Prozesses haben leider einige Genoss:innen unsere Gruppe verlassen. Wir haben es nicht geschafft, unterschiedlichen Ansprüchen und Bewusstseinsständen gerecht zu werden, was einerseits auf unsere eigene Unerfahrenheit und andererseits auf mangelnde personelle Ressourcen zurückzuführen ist. Gleichzeitig waren wir uns über unsere unterschiedlichen Ansprüche an unsere politische Arbeit nicht im Klaren, sodass Prioritäten unterschiedlich gesetzt wurden, was die Transformation unserer Gruppe nicht gerade erleichtert hat. Gemessen an der Stärke unserer Gruppe haben wir uns zu hohe Ziele gesetzt. Daher haben wir es nicht geschafft, eine kontinuierliche Praxis aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig wollten wir auch nicht zurück zur autonomen Kleingruppenpolitik.

Die Erfahrungen mit patriarchalen Strukturen in unserer Gruppe haben dazu geführt, dass wir uns zunehmend auf unsere interne Organisationsstruktur fokussiert und mit der Zeit die Arbeit nach außen immer mehr vernachlässigt haben. Wir hatten die Sorge, unseren neuen Ansprüchen nicht gerecht zu werden und alte problematische Strukturen zu reproduzieren, wenn wir Neumitglieder in die Gruppe aufnehmen würden, ohne vorher den Defiziten innerhalb unserer Gruppe entgegengewirkt zu haben.

Doch gab es auch weitere Rückschläge, die zu unserem schrittweisen Rückzug aus der politischen Öffentlichkeit geführt haben. Im Zeitraum von zwei Jahren wurden innerhalb unserer Gruppe zwei weitere Fälle von Täterschaft bekannt. In beiden Fällen handelt es sich bei der Tat um Vergewaltigung. Nach drei Jahren politischer Arbeit ziehen wir also die Bilanz von drei Tätern. Es lag in unserer Verantwortung, diese Täterschaften aufzuarbeiten. Wie das konkret aussah, lässt sich in einem weiteren Statement unserer Gruppe nachlesen. Nicht nur hat es unfassbar viele Ressourcen gekostet, dieser Aufarbeitung gerecht zu werden. Die Frage, wie es sein kann, dass wir als Gruppe solche Taten nicht verhindern konnten und sich Täter offenbar so wohl bei RED fühlen, hat uns gelähmt.

Es war notwendig, diese Entwicklung zu schildern, um zu verstehen, wie es zu folgendem Ist-Zustand kommen konnte:

RED hat als kommunistische Gruppe keinerlei Relevanz (mehr) in Darmstadt und im Rhein-Main-Gebiet. Seit fast einem Jahr, haben wir nicht mehr zur kommunistischen Meinungsbildung beigetragen, haben keine gegenkulturellen Angebote organisiert oder uns in Bündnissen engagiert. Noch länger haben wir als Konsequenz unserer Defizite keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen. Wir wären ohnehin nicht in der Lage gewesen, ihnen eine Perspektive zu bieten. Seitdem ist unsere Gruppe kontinuierlich kleiner geworden.

Diejenigen von uns, die noch verblieben sind, sind ausgebrannt und resigniert von zwei Jahren Täterarbeit. Das alleine wäre kein Grund, das Handtuch zu werfen, aber wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken: Wir werden unserer Verantwortung als kommunistische Gruppe nicht gerecht, Täterschaft in unseren eigenen Reihen vorzubeugen. In drei Jahren, haben wir das drei mal nicht geschafft. Stattdessen trägt unsere Gruppe einen Namen, der ihr von Tätern gegeben wurde, und der in unserer Stadt nur mit patriarchaler Männlichkeit assoziiert wird – und das zurecht. Auch wenn unser Bewusstsein gewachsen ist, ist unsere Gruppe, und damit auch unsere Handlungsfähigkeit signifikant geschrumpft.

Wir haben noch nicht auf all die Fragen, die im Zuge der letzten drei Jahre aufgekommen sind, eine Antwort. Wir kennen eine Richtung. Wie eine schlagkräftige kommunistische Organisation im 21. Jahrhundert konkret aussehen soll, das wissen wir aber noch nicht. All diese Fragen und den weiteren Weg unserer politischen Praxis werden wir mit unseren Genoss:innen beim Revolutionären Aufbau Rhein-Main diskutieren. Dort werden wir auch, sensibel für die Fehler, die wir selbst in der Vergangenheit gemacht haben, ein besonderes Augenmerk auf patriarchale Strukturen legen. Wir sind dankbar für jede Unterstützung und noch viel mehr für jede Kritik, die wir in den vergangen Jahren erhalten haben. Auf das, was noch vor uns liegt!