Politische Plattform

Der revolutionäre Aufbau Rhein-Main ist ein Verbund revolutionärer Strukturen aus dem Rhein-Main-Gebiet und zur Zeit in Darmstadt, Frankfurt und Mainz vertreten. Seine mittelfristige Aufgabe ist die Schaffung einer vereinten revolutionären Organisation in der Region und über ihre Grenzen hinaus, sowie der Aufbau der proletarischen Seite im Klassenkampf. Der Aufbauprozess dient der Vorbereitung einer neuen revolutionären, kommunistischen Organisierung von und für die Arbeiter:innenklasse, welche den Verhältnissen und Entwicklungen des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt und sich reflexiv zu den Erfahrungen, Erfolgen und Fehlern kommunistischer Parteien und Organisationen des 20. und 21. Jahrhunderts verhält.

Wir verstehen uns als Teil der „wirklichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“, was wir – nach Karl Marx – Kommunismus nennen. Unsere gemeinsame Plattform beruht auf den zentralen Einsichten und Erkenntnissen des Marxismus, den Erfahrungen der internationalen Arbeiter:innenbewegung, antikolonialen, antiimperialistischen Kämpfen sowie dem Kampf von Frauen und LGBTQI* gegen das Patriarchat.

Wir treten ein für eine reale Gegenmacht auf der Straße, im Betrieb, in Vierteln und der Jugendkultur. Im Geiste vorangegangener, revolutionärer Bestrebungen arbeiten wir daran, eine Alternative zum Kapitalismus wieder denk- und erfahrbar zu machen.

Unsere Überlegungen befinden sich im stetigen Wandel und reflektieren die Erfahrungen, die wir in der Praxis, dem konkreten Ringen um politische Erfolge, machen und durch theoretischer Reflexion gewinnen. Sie sollen der politischen Praxis Rahmung und Halt geben, sowie bei der Einordnung von Erfahrungen helfen.

Unsere Ziele und Haltungen leiten sich aus eigenen sowie historischen Erfahrungen von kämpfenden Genoss:innen weltweit ab. Wir dokumentieren hier den aktuellen Stand unserer Analyse der Klassengesellschaft, von der ausgehend wir uns in einen Prozess der umfassenden kommunistischen Organisierung begeben.

Dieses Dokument ist in ständiger Entwicklung und reflektiert den aktuellen Stand unserer Diskussion.

Revolutionärer Aufbau Rhein-Main – April 2023

2 Materialismus und Philosophie der Praxis

2.1 Philosophie der Praxis

Als Kommunist:innen sehen wir uns in der Tradition der in der Deutschen Ideologie von Marx und Engels beschriebenen „praktischen Materialisten“, für die es darum gehe, „die bestehende Welt zu revolutionieren, die vorgefundenen Dinge praktisch anzugreifen und zu verändern.“2 D.h. für uns steht die philosophische Erkenntnis in eindeutigem Zusammenhang zur menschlichen Praxis – mit der unmissverständlichen Absicht der Emanzipation der Menschen durch die Überwindung aller (kapitalistischer) Herrschaft.

Dieses Selbstverständnis wollen wir hier kurz und praxisorientiert darlegen, da es grundlegend für unsere Gesellschaftsanalyse, und daraus folgend für unsere politische Praxis, ist. Dabei weist jedoch auch die marxistische Philosophie einen hohen Abstraktionsgrad auf. Sie verharrt jedoch nicht im vielzitierten Elfenbeinturm, sondern gewinnt ihre Erkenntnisse aus den uns umgebenden Lebensumständen. Diese Praxisorientierung hebt auch Marx in seinem bekannten Zitat hervor: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“3 Diese Praxisorientierung ist jedoch nicht als Ablehnung von Philosophie oder Theoriebildung zu verstehen, sondern lässt sich am besten in dem von Antonio Gramsci geprägten Begriff der ‚Philosophie der Praxis‘ auf den Punkt bringen. Dabei liefert sie die Methode, um die Welt und unseren Platz in ihr zu verstehen. Letztendlich zielt sie auf die praktische Umgestaltung der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft ab: ihr Fluchtpunkt ist stets die revolutionäre Forderung „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“4

Diese Philosophie, mit der wir auf die Welt blicken, umfasst drei zentrale Bestandteile: Materialismus, Dialektik und Geschichtlichkeit. Diese sind jeweils keine von Marx und Engels neu erfundenen Konzepte – es bestehen Verknüpfungen zu Elementen vorheriger Philosophien – zuvorderst Hegel und Feuerbach. Jedoch wurden sie von ihnen revolutioniert sowie auf spezielle Art und Weise kombiniert. Auf die angesprochenen drei Bestandteile der „Philosophie der Praxis“ werden wir im Folgenden kurz eingehen.

2.2 Materialismus

Grundsätzlich versucht eine jede Philosophie zu begründen, wie sie die Welt betrachtet. Grundlegend für jede daraus folgende Erkenntnis ist die Frage, ob man das Sein oder das Denken als ursprünglich betrachtet. Daran schließt die Frage an, inwiefern die uns umgebende Welt für uns Menschen überhaupt erkennbar ist. Haben wir durch unsere Sinneswahrnehmungen direkten Zugriff auf eine objektiv existierende Realität oder wird diese Realität erst durch unseren Verstand konstruiert? Antworten auf diese Fragen haben direkte Auswirkungen auf unser Geschichtsverständnis, aber auch auf die daraus folgende Praxis.

Als Marxist:innen sind wir Teil einer materialistischen Philosophieströmung, die sich grundsätzlich von jener des Idealismus unterscheidet. Wie der Name schon sagt, begreift der Materialismus das Sein, also die Materie, als das primäre. Sie ist der Gegenstand unserer wissenschaftlichen Betrachtung. Doch um was genau handelt es sich bei diesem Begriff? Vormarxistische Materialist:innen begriffen Materie als die Gesamtheit der stofflichen Welt, also alles was direkt durch unsere Sinneswahrnehmungen erfahrbar ist. Marx und Engels erweitern diesen naturalistischen Materiebegriff nun um die gesellschaftliche Ebene. Sie begreifen Materie als alles, was objektiv real ist, also auch Prozesse, Beziehungen oder Verhältnisse in Gesellschaften; alles was außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein existiert. Daher ist Materie – im Anschluss an Gramsci und Bloch – als konkretes und gewordenes, gesellschaftliches Verhältnis zu verstehen.

Wir gehen also von einer an sich existierenden und aus sich selbst entwickelnden Wirklichkeit aus. D.h., die Realität existiert unabhängig von unserem Bewusstsein. Die materiellen Daseinsbedingungen haben demzufolge Vorrang vor dem Ideellen. Dies bedeutet, dass es kein unabhängig existierendes menschliches Bewusstsein geben kann, da es immer durch die materiellen Lebensbedingungen beeinflusst und geformt ist: „Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“5 Der Mensch muss somit als natürliches Entwicklungsprodukt seiner Umwelt gesehen werden. Damit stehen wir konträr zur Überzeugung des philosophischen Idealismus, demzufolge das Ideelle das Primäre sei. Auch der Konstruktivismus als postmoderne Variante dieser idealistischen Theorietradition geht davon aus, dass die zu erkennenden Gegenstände der materiellen Welt erst im Bewusstsein des Betrachtenden konstruiert werden. Die so konstruierten gesellschaftlichen Verhältnisse begreift er als dominierend.

Aufgrund des Vorranges der materiellen Welt bejaht der Marxismus grundsätzlich auch die Frage, ob die Welt erkennbar sei: Unser Bewusstsein der Welt entsteht, indem unsere Sinne und unser Verstand die objektive Realität erkennen und eine Widerspieglung dieser Welt in unserem Geist erzeugen. Dabei ist das Bewusstsein in dreifacher Weise von der ursprünglichen Materie abhängig: in seiner Entstehung (Evolution), in seiner Funktion (Gehirn) und in seinen Inhalten: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Trotz dieser Abhängigkeiten ist das Denken selbst keine Materie und bewahrt daher relative Selbstständigkeit. Diese Selbstständigkeit ermöglicht erst unser planvolles und vorausschauendes Handeln.

2.3 Dialektischer Materialismus

„Dialektiker sein heißt den Wind der Geschichte in den Segeln haben. Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst, sie setzen zu können, ist das Entscheidende.“6
– Walter Benjamin

Die Welt dialektisch zu erfassen bedeutet, Bewegungen und Veränderungen mitzudenken, die durch die inneren Widersprüche der Materie hervorgebracht werden. Dialektik umfasst somit sowohl einen zeitlichen Aspekt, die Bewegung, wie auch einen strukturellen Aspekt, den Gesamtzusammenhang der Dinge. Der zeitliche Aspekt lässt sich leicht mit den Worten Bertolt Brechts darlegen: „So wie es ist, bleibt es nicht.“7 Sowohl Natur als auch Gesellschaft befinden sich in stetiger Veränderung, hervorgerufen durch die den Dingen innewohnenden Widersprüche. Gleichzeitig besagt der strukturelle Aspekt, dass alles zusammenhängt. Oder um es mit den Worten Hegels zu sagen: „Das Wahre ist das Ganze“.8 Er drückt damit aus, dass die Natur nicht bloß eine zufällige Anhäufung von Dingen ist, sondern ein zusammenhängendes einheitliches Ganzes, das bestimmten Gesetzen folgt. Dies bedeutet, dass einzelne Bestandteile dieses Ganzen nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen und einzeln betrachtet werden dürfen. So macht es bspw. keinen Sinn die Volkswirtschaft eines Staates losgelöst vom Weltmarkt zu betrachten. Diese Gesamtheit der Dinge sowie ihre Bewegung sind in einem vermittelnden Verhältnis zueinander zu sehen. Das heißt, wir müssen die Bewegungsgesetze begreifen, um das große Ganze verstehen zu können.

Dabei wollen wir jedoch explizit nicht einer evolutionistischen Geschichtsteleologie das Wort reden, die eine sich stets zum Fortschritt hinbewegende Menschheitsgeschichte (‚Unvermeidbarkeit des Sozialismus‘) postuliert. Stattdessen betonen wir, dass die Menschen als handelnde Subjekte ihre Geschichte selbst machen. Genauer: „Die Existenz antagonistischer Klassen und der daraus resultierende Klassenkampf sind das zentrale Bewegungselement der historischen Entwicklung.“9 Es gibt im Klassenkampf jedoch keine Zwangsläufigkeit zur revolutionären Umwälzung der Produktionsverhältnisse; der „gemeinsame Untergang der kämpfenden Klassen“10 ist erstens nie auszuschließen und zweitens im Angesicht einer stetig weiter eskalierenden Klimakrise deutlich naheliegender. Somit verbietet sich die einfache Vorstellung einer linearen Entwicklung. Stattdessen wird der Gesamtzusammenhang, in den alle Teilelemente eingebettet sind, als dialektischer begriffen.

D.h., dass dialektische Zusammenhänge als Verhältnisse der ‘Wechselwirkung’ zwischen widersprüchlichen Elementen verstanden werden. Die Teilelemente, also Objekte und Seinszustände, werden dabei als von inneren und äußeren Widersprüchen geprägte Prozesse, und nicht als statische Zustände, aufgefasst. Diese Widerspruchsverhältnisse gelten dabei als die Triebkräfte der Veränderung und Entwicklung. Dementsprechend ist die Dialektik als die Wissenschaft vom Widerspruch und der Entwicklung zu verstehen. Diese Entwicklung erfolgt dabei weder kreisförmig noch linear. Sie ist gerichtet vom einfachen zum komplexen Zustand. Der jeweils neue Zustand entsteht aus der Negation des alten Zustands. Dabei meint Negation nicht bloße Ablehnung oder Verneinung des alten Zustands, sondern vielmehr eine Aufhebung. Aufhebung in dem Sinn, dass das Alte nicht mehr existiert, Aufhebung in dem Sinn, dass ein Teil des Alten im Neuen aufgeht und Aufhebung in dem Sinne, dass der aufgehobene Teil auf ein höheres Niveau (i.S.v. Komplexitätserhöhung) gehoben wird. Schließlich wird das Neue selbst wieder zur Negation, der Prozess schreitet ähnlich einer unendlichen Spirale voran.

2.4 Geschichtlichkeit und historischer Materialismus

Im Kapital wendet Marx die dialektische Methode nun erstmals auf die politische Ökonomie an. Die kapitalistische Produktionsweise wird hier als in sich widersprüchliche Gesellschaftsform analysiert, die sich an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung selbst aufhebt. Wir verfolgen mit der Marx entlehnten dialektischen Methode das Ziel, ‚Gesetzmäßigkeiten‘ der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft zu erkennen. Zudem geht es darum – möglichen – Fortschritt als Resultat menschlicher Praxis und der von ihr, durch ihre Beziehungen in Arbeit und Produktion (also durch den gesellschaftlich organisierten ‚Stoffwechsel‘ der Menschen mit der Natur), erzeugten ökonomischen Basis, zu erfassen.

Grundlegend für dieses marxistische Materialismusverständnis ist die Aufmerksamkeit, die der Geschichtlichkeit gewidmet wird. Denn erst diese ermöglicht es, sowohl die Entwicklung menschlicher Geschichte als auch soziale Phänomene aus ihrer objektiven gesellschaftlichen Ausgangsbasis zu verstehen. Dabei stellt die produktive Tätigkeit der Menschen die zentrale Antriebskraft der Geschichtlichkeit dar, da die grundlegenden gesellschaftlichen Strukturen stets durch ebenjene vermittelt sind.

Die Menschen sind in ihrem Handeln und Denken gesellschaftlichen Bedingungen und Zwängen verhaftet. Die Geschichte ist zwar ‘machbar’, dabei aber nicht von objektiven Voraussetzungen unabhängig.11 Auch die ideelle Welt entwerfen sich die Menschen auf der Grundlage ihrer materiellen und sich wandelnden Basis, die nicht einfach mittels eines anderen Bewusstseins verändert werden kann. Zusammengefasst: geschichtliche Veränderungen als Resultat menschlichen Handelns in sozialen Klassenkonflikten, hängen von den objektiven Bedingungen ab, welche durch die jeweiligen Produktionsverhältnisse erzeugt werden, und grenzen die Möglichkeiten dieser Veränderungen, deren Entwicklungsperspektive, dementsprechend ein.

Als dialektische und historische Materialist:innen erkennen wir also sowohl die Rolle des Menschen als bewusst die Welt veränderndes Subjekt, als auch die Rahmung des (geschichtlichen) Handelns der Menschen durch die ökonomische Basis, die sich aus der Gesamtheit der materiellen Produktionsverhältnisse bildet und den ideell-kulturellen, juristischen und politischen Überbau in letzter Instanz bedingt. Marx bringt diese Auffassung im Vorwort zur ‚Kritik der politischen Ökonomie‘ (1859) auf den Punkt: „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt.“12

Indem der historische Materialismus versucht die Einzelphänomene in ihrem zeitlichen Zusammenhang zu verstehen, erschöpft sich deren Untersuchung nicht in einer allein rückblickenden Analyse ihres ‚Gewordenseins‘ innerhalb ihres (historischen oder gegenwärtigen) gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs, der sich zuvorderst durch die Art und Weise der materiellen Produktionsverhältnisse bildet, sondern umfasst auch deren Entwicklungsrichtung: er ist also an der gesellschaftlichen Schaffung von zukünftiger Geschichte interessiert. Geschichtlichkeit wird demnach als unabgeschlossener Prozess verstanden, welcher auf Gegenwart und Zukunft abfärbt. Hierdurch wird die geschichtliche Kopplung der Vergangenheit mit der Gegenwart als auch der Zukunft in den Blick genommen. Dabei gehen wir mittels einer materialistischen Geschichtsauffassung der Frage nach, wie gesellschaftliche Handlungsbedingungen der Zukunft produziert und wo objektive Potentiale gesellschaftlichen Wandels ausgemacht werden können, um den Kapitalismus zu überwinden und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen.


2 Marx/Engels (1846): Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 42.

3 Marx/Engels (1978): Thesen über Feuerbach, MEW 3, S. 535.

4 Marx/Engels (1976): Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, S. 385.

5 Marx/Engels (1971): Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, MEW 13, S. 9.

6 Benjamin, Walter (1982): Das Passagen-Werk, in: Gesammelte Schriften (Bd. 5.1), Hrsg. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M., S. 592.

7 Brecht, Bertolt (1934): Lob der Dialektik.

8 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1970): Phänomenologie des Geistes, Vorrede, S. 22.

9 Vellay, Claudius (2014): Dialektik und historischer Materialismus, S. 12.

10 Marx/Engels (1972): Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 462.

11 Marx, Karl (1972): Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 8, S. 115.

12 Marx/Engels (1971): Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, MEW 13, S.

3 Kapitalismus

Unter Kapitalismus verstehen wir eine Produktionsweise, deren Grundlage das Privateigentum an Produktionsmitteln ist. Konkret heißt das, dass die Produktionsweise dabei die Art und Weise der Produktion materieller Güter in Abhängigkeit von der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung ist. Im Kapitalismus ist dies die Warenproduktion, d.h. Produktion nicht für den direkten Verbrauch, sondern für den Austausch bzw. Markt. Dabei gehören die Arbeitsmittel und Instrumente von Betrieben (z.B. Maschinen), die zur Warenproduktion bzw. zur Schaffung von Dienstleistungen notwendig sind, dessen Eigentümer:innen.

Im Kapitalismus werden Güter und Dienstleistungen für den Verkauf auf dem Markt produziert, was spezifisch-kapitalistische Produktionsverhältnisse zur Folge hat: Die Art und Weise, wie die Individuen produzieren, wie sie ökonomisch bei Aneignung, Austausch und Verteilung der Produkte, aber auch in ihrem sozialen Leben miteinander in Beziehung treten, wird durch den Kapitalismus bestimmt.

Allerdings ist die kapitalistische Gesellschaft nicht nur eine Ansammlung von Individuen, sondern setzt sich aus sozialen Klassen zusammen. Es handelt sich also um eine Klassengesellschaft, da die Individuen grundsätzlich unterschiedliche wirtschaftliche Ausgangslagen haben: Menschen, die über Eigentum an Produktionsmitteln verfügen, sind der Klasse der Kapitalist:innen, der Bourgeoisie, zugehörig. Die große Mehrheit der Menschen, das Proletariat, besitzt jedoch keine Produktionsmittel und ist daher – zur Sicherung ihres Lebensunterhalts – gezwungen, bei der herrschenden Kapitalist:innenklasse ihre Arbeitskraft zu verkaufen, also der Lohnarbeit nachzugehen, wodurch der reale Zwang hinter der lediglich formellen bürgerlichen Freiheit hervortritt. 

Aus der unterschiedlichen Stellung zu den Produktionsmitteln – die einen besitzen sie, die anderen haben keinen Zugang zu ihnen – erwachsen grundlegend zwei Klassen, die sich, aufgrund ihrer widerstreitenden Interessen, antagonistisch (in einem unlösbaren Widerspruch) gegenüberstehen: die Klasse der Bourgeoisie und die Klasse des Proletariats.

Kapitalist:innen sind durch die Marktkonkurrenz gezwungen ihren Profit zu maximieren, das heißt u.a. die Lohnkosten für die Arbeiter:innen so weit zu drücken wie möglich. Tun Kapitalist:innen dies nicht, gefährden sie das Überleben ihres Unternehmens in der Marktkonkurrenz, da sie möglichst große Profite benötigen, um sie reinvestieren zu können. Aus dieser Notwendigkeit zur Investition folgt der Zwang zur Profitmaximierung. Hierin liegt eine Ursache, weshalb Kapitalist:innen tendenziell möglichst geringe Löhne zahlen.

Entsprechend dem Privateigentum an Produktionsmitteln eignen sich Kapitalist:innen den gesellschaftlichen Reichtum im Kapitalismus privat an. Das steht allerdings im klaren Widerspruch zu seiner gesellschaftlichen Produktion durch die Mehrheit der Gesellschaft, der arbeitenden Bevölkerung.

Der Kapitalismus produziert also, zwangsläufig und systematisch, Elend und Ungerechtigkeit. Weil dabei, wie oben kurz dargestellt, das Problem nicht beim Charakter der Handelnden zu suchen ist, sondern in den Funktionsmechanismen der gesellschaftlichen Strukturen, streben wir nach der Überwindung des Kapitalismus. Denn gesellschaftliche Strukturen sind immer von Menschen gemacht – ergo können sie auch verändert werden!

3.1 Der Staat des Kapitals

Wir hegen keine Illusionen in den bürgerlichen Staat. Er entstand nicht durch eine friedliche Vereinbarung unter den Menschen, sondern wurde gewaltsam erschaffen, um die Teilung der Menschen in Klassen aufrechtzuerhalten. Dementsprechend ist er nicht unparteiisch, sondern besitzt einen Klassencharakter. Er wird selbst aus den Klassenverhältnissen hervorgebracht, ist selbst durch die Klassenverhältnisse strukturiert und seine Abhängigkeit vom Kapital ist in den Aufbau des Staates in einer kapitalistischen Gesellschaft eingebaut: der bürgerliche Staat ist in seiner Reproduktion selbst strukturell von Privatinvestitionen abhängig. Egal, wie progressiv sich eine Staatsregierung gibt, ihre erste Pflicht ist immer die Wahrung der Kapitalinteressen, denn sprudelnde Steuereinnahmen hängen vom Wirtschaftswachstum ab, das wiederum von der Ausweitung der Investitionen durch die Kapitalist:innen abhängt. Die durch den bürgerlichen Staat gesetzten politischen, juristischen und ökonomischen Rahmenbedingungen sind demnach darauf ausgerichtet, möglichst attraktive Profitmöglichkeiten für die kapitalistische Produktion zu bieten. Wenn notwendig, setzt er diese auch mittels militärischer und polizeilicher Repression gegen das Proletariat durch.

Aus bürgerlicher Sicht stellt sich der Staat als eine allgemeine, neutrale Instanz dar, welche mit den kapitalistischen Bewegungen und den darauf folgenden Klassenkämpfen nicht in direkter Verbindung steht. Dabei ist der Staat aber keine reine Überbauerscheinung, sondern muss im doppelten Sinne gefasst werden. So sind im direkten Klassenkampf einzelne Kapitalfraktionen direkt zu schlagen, der bürgerliche Staat muss es dabei noch lange nicht sein. Dabei umfasst der Staat nicht einfach nur die einzelnen verfassungsgebenden Formen, sondern alle “Organisationsformen, die unmittelbar mit der Existenz einer politisch gefaßten Gesellschaft verbunden sind. Darunter fallen Verbände, Massenmedien, Parteien, auch Arbeiterparteien, mit der ganzen, sehr elastischen Abstufung ihrer Möglichkeiten der Machtausübung und der Beeinflussung, die je nach der spezifischen Klassenlage manipulativ integrierend oder direkt unterdrückend vorgehen.“13

Während der Staat real als Garant der Markt- und Ausbeutungsverhältnisse den Klassenkampf von unten einzudämmen sucht, simuliert er mit dem Parlamentarismus politische Teilhabemöglichkeiten. Dabei ist es das wesentlichste Merkmal dieser parlamentarischen Demokratie, alle Widersprüche und Widerstände durch vermeintliche Integration zu verschleiern. Durch die Naturalisierung des Kapitalismus im bürgerlich-demokratischen Diskurs wird zudem nicht nur das Gefühl verbreitet, dass er das „einzig gültige politische System“14 sei, sondern auch verhindert, dass viele Menschen sich überhaupt noch etwas Anderes, ein besseres Leben für alle, eine echte Alternative, vorstellen können. Die Ideologie des ‚kapitalistischen Realismus‘ fungiert also als „unsichtbare Barriere, die unser Denken und Handeln einschränkt.“15

Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch innerhalb der genannten Strukturen für konkrete Veränderungen und Verbesserungen für die Arbeiter:innenklasse kämpfen, sondern dass wir uns zu jeder Zeit über deren Charakter bewusst sein müssen. Das Aufzeigen der inneren Limitierung dieser Kämpfe innerhalb staatlicher bzw. staatlich durchdrungener Strukturen muss dabei ebenso Teil unserer Strategie sein, wie der Kampf um die, von der Ideologie der Alternativlosigkeit befallenen, Köpfe der Menschen.

Im Kapitalismus strukturiert der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit in letzter Instanz alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Die kapitalistische Produktionsweise basiert auf und strukturiert das gegenwärtige Patriarchat. So schafft es die Bedingungen für das Fortbestehen des Systems und für die Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Auch befeuern die Produktionsverhältnisse Interessenskonflikte zwischen in- und ausländischen Arbeiter:innen, zwischen urbanen und ländlichen Regionen oder zwischen unterdrückenden und unterdrückten Nationen, die gleichzeitig eine weitere Basis der kapitalistischen Ausbeutung darstellen. Um diese Widersprüche aufheben zu können, bedarf es der Überwindung des Kapitalismus und des bürgerlichen Staatsapparats. 


13 Agnoli, Johannes: Der Staat des Kapitals, in: Gesammelte Schriften, Band 2, S. 22. Online: http://kommunismus.narod.ru/knigi/pdf/Johannes_Agnoli_-_Der_Staat_des_Kapitals.pdf.

14 Fisher, Mark (2013): Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?, S. 8.

15 Fisher, Mark (2013): Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?, S. 24.

4 Klasse und Standpunkt

Wenn wir von Proletariat und Klasse sprechen, dann meinen wir dabei immer die Weltarbeiter:innenklasse. Es geht dabei nicht darum, wie die Klasse erscheint, sondern um ihre Stellung im Produktionsprozess und ihr Verhältnis zu den Produktionsmitteln. Das entscheidendste Kriterium ist der Besitz von Produktionsmitteln. So wie der Kapitalismus von Anfang als ein Weltsystem angelegt war, welches sich über die Jahrzehnte und Jahrhunderte weiter ausgebreitet hat, so ist auch die proletarische Klasse in ihrer Charakteristik eine internationale. 

Unser Klassenstandpunkt, und die daraus folgenden praktischen Erkenntnisse, ergeben sich aus der Frage, welche gesellschaftlichen Kräfte ein objektives Interesse am Sturz des Kapitalismus haben bzw. der Frage, welche Klasse ein Interesse daran hat, den Sozialismus aufzubauen, und in welcher Form sie auch objektiv in der Lage dazu ist, die Schritte in diese Richtung zu gehen.

Dabei stützen wir uns auf die proletarische Klasse als Trägerin dieses historischen Projekts. Das Klassenbewusstsein ist dabei für uns nicht nur eine subjektiv empfundene Zugehörigkeit zu einer Klasse, sondern bietet in einem gereiften Stadium vor allem das Erkennen der eigenen revolutionären Rolle. Aus der Erkenntnis folgt die Praxis und das revolutionäre kollektive Handeln innerhalb einer kämpfenden Organisation.

Zwar hat die Klasse diesen objektiven Charakter, doch ist sie durch eine Vielzahl an Trennungslinien gespalten und fragmentiert – beispielsweise durch direkte Konkurrenz im Betrieb durch die Schaffung verschiedener Hierarchien wie Festangestellten und Leiharbeiter:innen –, aber auch in vielfacher Weise ideologisch durch rassistische, nationale und patriarchale Ideologiefragmente.

So ließen sich auch immer wieder große Teile der Arbeiter:innenklasse für reaktionäre Projekte einspannen und führten Kriege für die Bourgeoisie unter nationalistischem und imperialistischem Banner, während wiederum andere die Spaltung der Klasse durch den Schulterschluss mit der nationalen Bourgeoisie vollzogen haben und sozialdemokratischen Führern folgten. Die Einhegung des Proletariats in den Verwertungsprozess stellt dabei eine besondere Entwicklung in der kapitalistischen (Re-)Produktion dar, da nicht nur ihre vormals revolutionären Organisationen staatstragend wurden und sich integrieren ließen, wodurch sich vorher entstandene Arbeiteraristokratien als feste Größen im bürgerlichen Staat etablieren konnten, sondern auch durch die Teilnahme an imperialistischer Politik ihre sozialen Krisen abzuschwächen wussten. 

Die Arbeiter:innenklasse bildet keine homogene Einheit, was das Erkennen gemeinsamer Klasseninteressen erschwert. Sie lässt sich in vielfacher Hinsicht national und international gegeneinander ausspielen, wodurch effektiv die gemeinsame Organisierung verhindert wird. Für eine Analyse der Klassenverhältnisse auf Höhe der Zeit, müssen die eigenständigen Kämpfe, wie die gegen den Klimawandel, gegen Rassismus und Patriarchat, gegen globale Ungleichheiten und koloniale Unterdrückung, als Konfliktlinien begriffen werden, die von den Klassenverhältnissen entscheidend geprägt sind. 

Der vorrangige Widerspruch zwischen Proletarier:innen und der Bourgeoise ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass es nur diese zwei Klassen gibt. Karl Marx verwendete den Begriff „Kleinbürgertum“ für eine Klasse, die im Kapitalismus eine wichtige Rolle spielt, jedoch nicht zu den Hauptakteuren, dem Proletariat und der Bourgeoisie, gehört. Die Kleinbürger:innen sind selbständige Kaufleute, Handwerker, Freiberufler und andere, die zwar begrenzte Produktionsmittel besitzen, aber auch ihre Arbeitskraft verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie gehören als Zwischenklasse weder zur Gänze zum Proletariat noch zur Bourgeoisie. Viel eher werden sie politisch und sozial in eine der beiden Richtungen polarisiert. Mit den Proletarier:innen haben sie gemeinsam, dass sie von eigener Arbeit leben müssen, mit der Bourgeoisie, dass sie ihre eigene Produktionsmittel benutzen und ihr Arbeitsprodukt als ihnen gehörende Ware verkaufen. Aus den kleinen, selbständigen Warenproduzenten wuchs geschichtlich das große Kapital hervor, während diese heute tendenziell von den großen Kapitalen kaputtkonkurriert werden.

Auch die Beantwortung der Bauernfrage ist in unterschiedlichen Teilen der Welt historisch bedingt und historisch begrenzt: Während die Bauern im globalen Norden meist nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, und von Konzernen immer weiter aus der Agrarwirtschaft gedrängt werden, sind sie andernorts zentraler Akteur im revolutionären Kampf. Beispielsweise waren sie im feudalen China des 20. Jahrhunderts durch die grassierende Unterdrückung vor der sozialistischen Revolution eine der stärksten und revolutionärsten Kräfte. Demnach betrachtete Mao Tse Tung die Bauern als die wichtigste Klasse im revolutionären Prozess und glaubte, dass der Kampf der Bauern gegen die Ausbeutung durch die feudalen Herrscher der Grundstein für die chinesische Revolution war. 

Gleichzeitig entstehen zwischen all den Klassen immer wieder Hybride und Formen, die sich nicht immer eindeutig einteilen lassen. Wichtig bleibt aber, die grundsätzlichen Widersprüche der Klassen herauszuarbeiten. Revolutionär:innen haben die Aufgabe, sich auf die Seite der Unterdrückten zu schlagen, für ihre Rechte und ihre Befreiung einzustehen, als Teil der Klasse das Bewusstsein über gemeinsame Interessen zu stärken und dadurch den revolutionären Charakter freizulegen. Nur im Verbund und in Einheit mit anderen unterdrückten Klassen kann der Arbeiter:innenklasse die Befreiung von den kapitalistischen Ketten gelingen. 

5 Patriarchat

Ausgehend von der Hoffnung auf ein gutes Leben in Würde und Selbstbestimmung erheben sich die Menschen weltweit. Besonders Frauen nehmen in diesen Widerständen eine führende Rolle ein und das ist kein Zufall. Auch in Deutschland organisieren sich Frauen gegen ihre Unterdrückung, denn der Unterschied von der »Gleichheit auf dem Papier« zu der Gleichheit im realen Leben ist noch immer existent und systematisch verankert.

Die Geschichte ist Zeugin eines stetigen Kampfes gegen die patriarchale Unterdrückung und Ausbeutung an Frauen. Die Herrschaft des Staates errichtete sich auf der Verdrängung der Frauen aus den Gesellschaften und der Zerstörung ihres Einflusses. Die Verfolgung und Ermordung von Frauen unter dem Vorwand der Hexenvernichtung stellte ein ausschlaggebendes Mittel für die Verdrängung der Frau aus der Gesellschaft in den privaten Haushalt dar. Denn bis dahin stellten die Frauen der vom Kapitalismus so dringend benötigten Vereinzelung der Gesellschaft durch Kommunalität, alltägliche Solidarität, das Wissen um alternatives Wirtschaften, medizinisches Wissen, ein Gegengewicht entgegen. Dies zeigt die Verstrickung von Kapitalismus und Patriarchat deutlich auf, auch wenn die Geschichte des Patriarchats deutlich älter ist, als die des patriarchalen Kapitalismus.

Doch erst durch die „ursprüngliche Akkumulation“, der Landnahme,  entstand eine neue wirtschaftliche und soziale Ordnung, unter der Bäuer:innen, Arbeiter:innen enteignet und frühe Gesellschaften versklavt wurden; durch welche die Grundlagen der bürgerlichen und damit kapitalistischen Produktion gelegt wurden. Körper wurden schlichtweg nur als Arbeitsmaschine gewertet und die Frau in diesem Zusammenhang den Erfordernissen der Arbeitskraftreproduktion untergeordnet – denn das Patriarchat wird durch die Herabsetzung des gesellschaftlichen Status der Frau, und damit ihrer Herabsetzung in den Produktionsverhältnissen zu einer Kraft, die den Kapitalismus im Sattel hält. Die Veränderung der sozialen Stellung der Frau sollte zusätzlich auch in die Arbeiter:innenklasse selbst hineinwirken, denn durch Rassentheorien und geschlechtliche Abwertung entstand auch innerhalb der Klasse selbst eine Spaltung, die Widerstände im Keim ersticken sollte.

Die Auftrennung von Produktion und Reproduktion wurde zu einem konstituierenden Moment des frühen Kapitalismus und ist es bis heute. Lediglich die Produktion für den Markt bildete sich als Lohnarbeit heraus während die Reproduktionsarbeit als „Frauenarbeit“ oder „natürliche Berufung“ mystifiziert und als unbezahlte Arbeit verrichtet wird. Diese Arbeitsteilung produzierte eine Klasse proletarischer Frauen, die ebenso eigentumslos war wie die Männer, jedoch innerhalb der monetarisierten Gesellschaft minimalen Zugang zu Lohn hatte und dadurch in Armut, wirtschaftlicher Abhängigkeit und Unsichtbarkeit verweilen musste. Die Reproduktion der Arbeitskraft, die bis heute die Grundvoraussetzung für die Produktion ist, ist zu weiten Teilen weiterhin Privatangelegenheit und nicht selten die von Frauen.

Bis in die Gegenwart lässt sich dieses Schema nachzeichnen und mit unzähligen Beispielen belegen. Noch heute verrichten Frauen unbezahlte Reproduktionsarbeit, immer noch arbeitet ein Großteil der Frauen in schlecht bezahlten Pflegeberufen und verdient noch weniger als die männlichen Kollegen. Durch die Veränderung der gesellschaftlichen Teilhabe der Frau auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt sind jedoch auch große Teile der sozialen Reproduktion kommodifiziert worden und werden aber nicht selten sehr prekär und von (migrantischen) Frauen getätigt, z.B. Putzkräfte, Altenpflegerinnen etc. Noch heute wird der Körper der Frau durch Staat und Kapital vereinnahmt und zu reproduktiven Zwecken eingesetzt – unter mystifizierten Annahmen über Weiblichkeit und einem Kalkül, das die Klasse spalten und Frauen gefügig machen soll.

5.1 Historische Frauenkämpfe

Die historische Wichtigkeit der Organisierung von Frauen in politischen Kämpfen zeigt sich anhand den Kämpfen unzähliger proletarischer Frauenbewegungen.

Im Mai 1915, während des Ersten Weltkriegs entschlossen sich Vermieter in Glasgow, die Mieten zu erhöhen. Daraufhin gründeten Frauen die „South Govan Women’s Housing Association“, eine von vielen Mieter:innenvereinigungen, welche gegen Mieterhöhungen und die damit zusammenhängenden Zwangsräumungen streikten. Bis November beteiligten sich etwa 30.000 Haushalte und es gipfelte darin, dass Vermieter die Mieten direkt von den Löhnen der Arbeiter:innen einziehen wollten, woraufhin sich zehntausende Menschen zu einem Protest vor dem Amtsgericht versammelten. Die Klassensolidarität endete mit einem Sieg. Das Beispiel ist eine Inspiration in Hinblick auf den immer noch vorherrschenden Kapitalismus und den Kampf an der Wohnungsfront. 

Auch in der russischen Februarrevolution 1917 spielten Frauen eine zentrale Rolle. Der Krieg hatte die Bedingungen für Frauen verschlimmert, welche ihren Alltag im Spagat zwischen zu langen Arbeitszeiten in der Kriegsindustrie und der Betreuung ihrer Kinder verbrachten. Lebensmittelknappheit, welche zu Plünderungen von Bäckereien führte, veranlasste Frauen zum Streik aufzurufen. Wenige Tage vor dem Weltfrauenkampftag beteiligten sich zwischen 80.000-120.000 männliche und überwiegend weibliche Arbeiter:innen mit der Forderung „Brot, Frieden und ein Ende der zaristischen Herrschaft“ an den Streiks. In der darauf folgenden Oktoberrevolution wurden Mutterschutz während der Schwangerschaft sowie das Recht auf Mutterschaftsurlaub, Kinderbetreuung und Scheidung legalisiert. Weitere Kämpfe von Frauen im 20. Jahrhundert, wie der von Landarbeiter:innen in Italien während des Ersten Weltkriegs, der Streik der Zigarettenarbeiter:innen 1937 in Detroit oder der Streik um gleiche Löhne bei den Fordmotoren-Fabriken in England in den 60er Jahren sind nur einige Beispiele für die Selbstorganisierung von Arbeiterinnen. Die Geschichte ist fundamental für heutige Frauenkämpfe, die Befreiung aller Frauen und somit der gesamten Klasse, denn bis heute sind die patriarchalen Strukturen allgegenwärtig.

5.2 Frauenrealität und aktuelle Kämpfe

Patriarchale Strukturen äußern sich (heutzutage) vor allem in der Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Häusliche Gewalt, Ausbeutung in Reproduktions- und Lohnarbeit, Prostitution, Vergewaltigungen, Genitalverstümmelungen und Femizide finden sich weltweit und betreffen Frauen und Mädchen in jedem Alter. Dabei spielt das nahe Umfeld dieser Frauen meist die größte Rolle in der Unterdrückung, sodass Ehepartner oder die eigene Familie oft zur Bedrohung werden, und eine schier ausweglose Situation provozieren, in der Frauen aus Angst oder Abhängigkeit nicht in der Lage sind, sich Hilfe zu suchen. Diese Gewalt ist Ergebnis des patriarchalen Herrschaftsverhältnisses, das durch die Unterdrückung der Frau, die Spaltung der proletarischen Klasse und die kapitalistischen Produktionsverhältnisse seit Jahrhunderten zwanghaft aufrecht erhalten wird.

In der Arbeitswelt wird deutlich, wie stark Ausbeutung zwischen Arbeitern und Arbeiterinnen stattfindet. Allein das Existieren der Gender Pay Gap, also den Unterschied bei Bezahlung weiblicher und männlicher Arbeitskräfte in gleichem Job mit gleicher Qualifikation unterstreicht die Unterdrückung der Frau. Zusätzlich bedingt die ungleiche Lebensrealität von Frauen auch die Lohnarbeit, was sich beispielsweise darin manifestiert, dass Frauen öfter in atypischen Beschäftigungsverhältnissen angestellt sind, die mit einem erhöhten Armutsrisiko und weniger Arbeitsrechten einhergehen. Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind beispielsweise Aushilfs- oder Nebenjobs, aber auch Teilzeitjobs. Diese entstehen durch die Doppelbelastung der Frau, die aufgrund ihrer ihr  zugeschriebene Rolle in der Familie nicht die gleichen zeitlichen Ressourcen hat, einem besser bezahlten Vollzeit-Job nachzugehen und sich aufgrund der gleichzeitig herrschenden Geldnot diesen Ausbeutungsverhältnissen hingeben muss. Auf der Arbeit zieht sich diese Unterdrückung fort durch niedrigen Lohn für harte Arbeit, unbezahlte Überstunden und meist kein oder wenig Recht auf Urlaub. Darüber hinaus sind Frauen viel öfter von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz betroffen als ihre männlichen Kollegen.

Die prekäre Situation der proletarischen Frau auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt äußert sich zudem in dem vermeintlichen Gewerbe Prostitution. In einer kapitalistischen, von Klassenverhältnissen geprägten Gesellschaft, wird die Tatsache, dass Frauen als letzten Ausweg des Lohnerwerbs der Verkauf ihres Körpers bleibt, unkritisch angenommen und als emanzipatorisch verherrlicht. Zweifelsfrei gibt es die sog. freiwillige Sex-Arbeit. Doch handelt es sich bei einem Großteil der Prostituierten um Frauen, die durch ihre prekären materiellen Umstände in diese ausbeuterischen Verhältnisse gedrängt werden. Migrantische Frauen, Frauen ohne deutsche Staatsbürgerschaft und Trans-Menschen sind der Prostitution besonders schutzlos ausgeliefert. Es ist zu unterscheiden zwischen der freien Entscheidung der bürgerlichen Frau, für sexuelle Dienste Lohn in Anspruch zu nehmen und der Proletarierin, der nichts anderes übrig bleibt, die gezwungen ist. Es ist auch zu unterscheiden zwischen dem Verkauf von Nackt-Bildern, getragener Unterwäsche oder eben Sex, weshalb der Begriff der „Sex-Arbeit“ diffus und verharmlosend ist. Dabei sind auch Praktiken, die nicht explizit physischen Sex beinhalten, nicht unbedingt emanzipatorisch, wenn sie freiwillig von einer Frau ausgeübt werden. So kann beispielsweise die Pornographie, patriarchale Denkmuster verstärken und ein falsches und gewaltvolles Bild von Frauen implementieren. Die sexuelle Befreiung der Frau ist ein wichtiger Pfeiler des feministischen Kampfes, das beinhaltet aber nicht die Kapitalisierung von Sexualität – Geld ersetzt keinen Konsens!

Eine weitere Form der Gewalt gegen Frauen äußert sich auch in Genitalverstümmelungen. Diese ‚Beschneidungen‘ werden oftmals im Kindheitsalter initiiert, um sicherzustellen, dass Frauen vor ihrer Ehe keine sexuellen Beziehungen eingehen. Sie finden meist ohne Betäubung und mit unsterilen Messern oder Rasierklingen statt, wodurch das Risiko auf Infektionen oder Tod durch die Verstümmelung sehr hoch ist. Hiervon sind ca. 200 Millionen Frauen weltweit betroffen. Dieses Beispiel zeigt – abgesehen von dem hohen Gewaltmaß an Frauen – ebenfalls, wie sich die Gesellschaft des Patriarchats das Traumbild der Frau als Objekt, welches nur für den (Ehe-)Mann bestimmt ist, etabliert hat. 

Diese realitätsfernen Vorstellungen der Rollen und Aufgaben der Geschlechter ist die Ursache für das Leiden unzähliger Frauen, sowohl in ihrem privaten, als auch in ihrem beruflichen Leben. Eine weitere Form der Gewalt äußert sich in der Unterdrückung der körperlichen Selbstbestimmung durch beispielsweise den Abtreibungsparagraphen 218a. Dabei zwingt der Staat Frauen/gebärfähige Personen in finanzielle und emotionale Notlagen, indem der Zugang erschwert und eine Abtreibung nur unter bestimmten Bedingungen als straffrei eingestuft wird. So werden in Deutschland jährlich bis zu 100.000 Schwangerschaften abgebrochen, jedoch führen von über 26.000 Gynäkolog:innen nur 10% bis 20% diese durch. 

Nicht nur in Deutschland leiden Frauen unter miserablen Bedingungen: in Ungarn müssen sich Frauen vor einer Abtreibung den Herztönen ihres Embryos aussetzen, in den USA ist Abtreibung in vielen Staaten – selbst nach einer Vergewaltigung! – illegal und auch in Polen wurde die Gesetzeslage zu Lasten der Betroffenen massiv verschärft. Frauen sind folglich international in ihrer Selbstbestimmung unterdrückt und nicht selten von finanziellen Mitteln abhängig, um Gesetzeslage sowie weitere Umstände zu umgehen.

Auf der ganzen Welt, und besonders in Ländern, wo die Krisen des Kapitalismus sich verstärken, sind Frauen und Mädchen von den instabilen Lagen betroffen. Beispielsweise durch geringen oder gar keinen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung. Aufgrund von Armut, Krieg und Krisen, fliehen Menschen innerhalb und außerhalb der Ländergrenzen in Hoffnung auf ein Leben in Würde. Insbesondere Frauen und Mädchen sind in dieser Lage vulnerabel, denn neben den genannten Fluchtursachen ist auch sexualisierte Gewalt ein ausschlaggebender Faktor. Auf den Fluchtrouten erfahren sie überdies weitere Gewalt, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen. Geflüchtete Frauen und Mädchen werden häufig Opfer von Menschenhandel und Prostitution und müssen zudem in vielen Fällen die Versorgung ihrer Kinder selbst in die Hand nehmen.

Doch auch heute noch erheben sich auf der ganzen Welt Frauen, die für ihre Rechte kämpfen und auf die Straße gehen, um ihre Geschichte zu schreiben. Jährlich, am 28. September, schließen sich Frauen rund um den Globus zum Safe Abortion Day zusammen, um sich ihr Recht auf eine sichere Abtreibung zu erkämpfen. Nicht nur in Deutschland war die Streichung von Paragraph 219a, welcher die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbot, ein Erfolg. Wie wichtig und aktuell die weltweiten Kämpfe rund um das Abtreibungsrecht sind, zeigt ein Beispiel aus El Salvador vom April 2022, wo Abtreibungen ausnahmslos verboten sind. Die Kampagne ‚Nos faltan las 17‘ (‚Uns fehlen 17‘) feierte die Entlassung zweier unschuldiger Frauen aus dem Gefängnis. Glenda wurde 2013 mit 19 Jahren wegen Abtreibung angeklagt und zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, die Generalstaatsanwaltschaft forderte sogar 50 Jahre. Maria erlitt 2012 mit 32 Jahren eine Fehlgeburt und wurde daraufhin des schweren Mordes beschuldigt. Beide Frauen wurden vorzeitig entlassen, jedoch nicht freigesprochen, was bedeutet, dass ihnen weitere Repression und Willkür droht. Die Bürger:innengruppe für Entkriminalisierung der Abtreibung konnte bisher zur Freilassung von mehr als 60 Frauen beitragen. Aus dem Kampf für sichere und kostenlose Abtreibungen und für ein Gesetz zur Prävention, Bestrafung und Beseitigung von Gewalt an Frauen entstand in Argentinien 2015 die Bewegung ‚Ni una menos‘ (‚Nicht eine mehr‘). Zur ersten Demonstration konnten allein in Buenos Aires 300.000 Menschen, hauptsächlich Frauen, mobilisiert werden. Seither ging der Protest um die Welt und Frauen bildeten in zahlreichen Ländern selbstorganisierte Gruppierungen, um sich gegen geschlechtsspezifische sexualisierte, psychische, häusliche Gewalt und Femizide zu wehren.

Ein weiteres Beispiel für proletarische Frauenkämpfe ist der Streik der Textilarbeiterinnen in Bangladesch von 2019, bei dem sich Frauen außergewerkschaftlich organisierten. Nach einer unzureichenden Lohnerhöhung gingen zehntausende Beschäftigte der bengalischen Bekleidungsindustrie, von dem der Großteil Frauen sind, auf die Straßen. Die Antwort auf bessere Löhne und sichere Arbeitsbedingungen waren Repression und Polizeigewalt.

In der Vergangenheit hat es immer Frauen gebraucht, die sich organisieren, um gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen. Das Patriarchat ist in unser aller Köpfe und in der kapitalistischen Produktionsweise so tief verankert, dass patriarchale Strukturen von Arbeiter:innenbewegungen teilweise nicht als solche erkannt oder sogar reproduziert werden. Deshalb ist der Austausch von Frauen und LGBTIQ* als Betroffene von patriarchaler Unterdrückung so essenziell als Korrektiv für die proletarische, kommunistische Bewegung.

Nach dem Ausrufen der Revolution in Kobanê 2012 haben sich auch dort Frauen einige Freiheiten erkämpft: gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ und das patriarchale System. Im Jahr 2013 begannen einige Organisationen in Westkurdistan und dem nordöstlichen Syrien das demokratisch-autonome Rojava aufzubauen. Ohne religiöse oder ethnische Unterdrückung, dafür mit Gleichstellung von Mann und Frau, mit eigener Gerichtsbarkeit und eigenen Sicherheitskräften. Während Rojava seit 2012 1,2 Millionen Flüchtlinge, welche in Syrien sonst verfolgt würden, aufgenommen hat, versucht der türkische Staat seit einem Jahrzehnt mittels Luftanschlägen, Bodeneinheiten und jüngst auch Giftgasangriffen die Region zu zerstören. Auf der Flucht vor Krieg, der Zwangsehe, dem Ex-Mann oder aus Überzeugung ziehen Frauen in das Frauendorf Jinwar, welches Schutz bietet. Sowohl im Jahr 2015, als auch 2017 wurde der IS von der Volksverteidigungseinheit YPG und der Fraueneinheit YPJ besiegt. Die Frauen befreiten sich unter der Parole ‚Jin, Jiyan, Azadî‘ (‚Frauen, Leben, Freiheit‘) durch Waffen und Militärkleidung aus der arabischen Kultur und Tradition. Die Gleichberechtigung, die Möglichkeit zu arbeiten und alle erkämpften Rechte in Rojava sind Teil einer Frauenrevolution in Form eines Prozesses. Der revolutionäre Aufstand in Iran nach der Ermorderung Jîna Mahsa Aminis im September 2022 zeigte erneut die aufgestaute Wut unendlicher Frauen in etlichen Ländern. Keine Repression, weder die über 250 getöteten, noch die über 10.000 verhafteten Personen konnte die streikenden Frauen aufhalten, für ihre Rechte und gegen das System zu kämpfen. Diese größte Protestwelle seit Jahren wird angeführt von Frauen, Studentinnen und Schülerinnen und mobilisierte schnell auch männliche Arbeiter beispielsweise aus der Öl- und Gasindustrie. Der Protest entstand durch Frauen, welche ihre Kopftücher auf offener Straße verbrannten und wurde schnell zu einer nationalen Systemkritik. Internationale Solidarität und Großdemonstrationen gegen die Unterdrückung und Repression folgten enorm schnell.

All diese Frauenbewegungen kämpfen – auch wenn es Unterschiede in Gegebenheiten oder Inhalten gibt – für ein selbstbestimmtes Leben frei von patriarchaler Unterdrückung. Nicht alle Frauenbewegungen haben als Ziel den Aufbau des Sozialismus, jedoch ist immer häufiger ihren Kämpfen eine Systemkritik immanent. Denn, wer gegen patriarchale Strukturen kämpft, muss auch gegen das politische System kämpfen, das dahinter steckt.

5.3 LGBTIQ*-Realtität und Kampf

Auch die soziale Rolle von LGBTIQ* hat sich im Verlauf der Geschichte gewandelt und entwickelt. Homosexuelle und Transpersonen haben in verschiedenen Gesellschaften über die Geschichte hinweg mehr oder minder Akzeptanz erfahren – etwa durch Heiligsprechung; werden aber erst seit dem Kapitalismus als eigene Identitäten verstanden. Non-binäre Gesellschaften wurden durch die Kolonisierung gewaltsam in die binäre Geschlechterordnung gedrängt und somit nutzbar für die Kapitalakkumulation zugunsten der europäischen Kolonisierer gemacht.

Obwohl heutzutage der Anschein erzeugt wird, LGBTIQ* seien in modernen Gesellschaften akzeptiert, manifestiert sich Tag für Tag der Hass an ebendiesen durch rohe Gewalt, Verhaftungen, Vergewaltigung und Mord. Nicht nur aus der zivilen Bevölkerung heraus erfahren die Menschen diese Unterdrückung, sondern ganz systematisch durch Staat, Polizei und Justiz.

In westlichen Industrienationen, aber vor allem in den USA, nahmen die Repressionen gegen LGBTIQ* in den 60er Jahren ihren Höhepunkt, sodass etwa transgeschlechtliche Menschen kriminalisiert und bekennende LGBTIQ* ohne Rechtsgrundlagen inhaftiert worden sind. Die Unterdrückung von LGBTIQ* darf nicht abseits der Klassenperspektive gedacht werden – das zeigt insbesondere der historische Stonewall-Riot Ende der 60er Jahre, bei dem in einem verarmten Stadtteil bei einer Polizeirazzia gewaltsam Widerstand geleistet wurde. Hierbei waren vor allem schwarze, hispanic und weitere migrantische LGBTIQ*-Personen betroffen, die in ärmsten Verhältnissen ohne ausreichende Lebensmittel, Wohnräume, Bildungsmöglichkeiten und medizinische Versorgung leben mussten. Diese Proteste waren deswegen so bedeutend, weil sie den Kurs des queeren Kampfes neu einschlugen und ihn zunehmend radikalisierten. Es ging nicht nur um Toleranz aus der Bevölkerung, oder die Entkriminalisierung auf dem Papier, sondern um eine gänzlich neue Perspektive auf den Kampf um die Rechte von LGBTIQ*, die dadurch ein neues Selbstbewusstsein entwickeln konnten. Schon bald schlossen sich die radikalen Bewegungen antikapitalistischen und antirassistischen Kämpfen an, etwa der Black Panther Party. Dieser Vorstoß zu einem Kampf auf antikapitalistischer, antirassistischer und anti-patriarchaler Grundlage bleibt der Dreh- und Angelpunkt für ein vereintes Proletariat, das nur in dieser Form den Kapitalismus zu überwinden vermag – umso mehr müssen die Spaltung und Vereinnahmung, die durch die Bourgeoisie entstanden sind, erkannt und auch mit gewaltvollen Mitteln bekämpft werden.

Bis heute manifestiert sich die Unterdrückung von LGBTIQ* in verschiedenen Formen, etwa durch Gesetze, die Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit unter Haft- oder Todesstrafe setzen oder gewalttätige Angriffen durch Rechtsradikale, Reaktionäre oder die Polizei. Bis heute wird die ‚Angleichung‘ des Geschlechts bei der Geburt von Interpersonen durchgeführt, Transpersonen haben massive (finanzielle) Schwierigkeiten, eine Transition vornehmen zu lassen oder ihr Geschlecht im Pass zu ändern. Im Schnitt liegt die Lebenserwartung von Transpersonen in Deutschland bei 38 Jahren, während sie bei cis Personen circa 80 Jahre beträgt.

Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse basieren aktuell auf dem Fortbestehen der bürgerlichen Kleinfamilie. Die Trennung von Reproduktions- und Lohnarbeit ist ein Garant für die Sicherung der Arbeitskraft. Da Reproduktionstätigkeiten als Attribut der Frauen naturalisiert wurden, ist es im Sinne des Kapitalismus‘ die binären Geschlechterverhältnisse nicht aufzuweichen. Der liberale Kapitalismus im Westen bzw. in den imperialen Zentren macht queeres Leben zwar nicht unmöglich – im Gegenteil – er kann es sogar als neuen Markt erschließen, jedoch ist eine globale Befreiung von Queeren Menschen im aktuellen System nicht möglich. Besonders Personen, die aus dem binären System ausbrechen und es damit in Frage stellen, sind von heftiger Repression ihrer Existenz betroffen.

Diese Repression gegen queeres Leben hat sich allerdings extrem verselbstständigt, sodass Queere Existenzen überall auf der Welt eine Gefahr ausgesetzt sind, die über das für den Kapitalismus notwendige Maß hinausgeht.Wir fordern daher eine kollektive Bewegung aller Arbeiter:innen in vollem Klassenbewusstsein gegen das Kapital und dem ihm zusammenhängenden Patriarchat, das die Lebensrealitäten für Frauen und LGBTIQ* Tag für Tag diktiert und so unermessliche Gewalt und Repression verursacht, die zulasten derjenigen geht, die sowieso schon durch Lohn- und Reproduktionsarbeit ausgebeutet werden.

5.4 Liberale Vereinnahmung feministischer Bewegung

Derweil kokettieren große Konzerne mit feministischen Trends und vermarkten ihre Produkte unter dem Label ‚Girl Power‘, wobei gleichzeitig eben in diesen Konzernen Frauen und Mädchen unter ihren ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und den Folgen ihres Wirtschaftens besonders leiden. Der liberale Feminismus der Reichen und der Unternehmer agiert für das Kapital – und damit gegen die proletarische Klasse. Radikale Bewegungen, die Geschlechterunterschiede, Geschlechtlichkeit und die sexistische Unterdrückung angreifen, werden sinnentleert und oberflächlich als Kosmetik aufgegriffen. So investieren Unternehmen große Beträge, um sich einen feministischen Anstrich zu verpassen und ihren ausbeuterischen Charakter zu verschleiern. Ein Beispiel dafür ist die Daimler AG, die zum Pride Month ihr Logo in Regenbogenfarben färbt, zugleich aber Rüstung an LGBTIQ*-feindliche Regime wie Saudi-Arabien liefert. 

Dabei ist die Pluralität als Weg schon das Ziel und die doppelte Ausbeutung der Frau durch Lohn- und Reproduktionsarbeit spielt keine Rolle mehr. Ebenso die Frage, wie Geschlecht über vergeschlechtliche Arbeitsteilung erst hergestellt wird. Gleichzeitig wird der Liberalfeminismus auch für militaristische und imperialistische Zwecke genutzt, indem das Militär etwa Frauen- und LGBTIQ*-Beauftragte für Soldat:innen einrichtet.

Folglich wird deutlich, dass auf perfide Weise, revolutionäre Frauenkämpfe und feministische Bewegungen immer wieder vereinnahmt und von der Profitlogik des Kapitals unterworfen werden, etwa durch die Aneignung des jährlichen Pride Months oder Frauenkampftags, wodurch eine milliardenschwere Industrie entstanden ist. Wir stellen uns klar dagegen  und geben uns nicht mit vermeintlichen kleinen Verbesserungen wie Genderquoten, Elterngeld oder Förderung von Frauen in Führungspositionen zufrieden. Wir wollen die Ehe nicht erweitern, sondern uns aus ihr befreien, den Abtreibungsparagraphen nicht aufweichen, sondern abschaffen, wir wollen keine Blumen und Pralinen am sog. Weltfrauentag, sondern eine solidarische und gerechte Verteilung unserer Arbeit, die wir tagtäglich leisten.

5.5 Fazit

Patriarchat und Sexismus strukturieren seit jeher unsere Lebensrealität und damit auch unsere Persönlichkeit. Der antipatriarchale Kampf muss also eine Auseinandersetzung mit unserer eigenen Haltung einschließen.

Auch Männer müssen ein Interesse daran entwickeln, das patriarchale System zu überwinden, denn die Spaltung der Klasse in einen privilegierten Mann und einer unterdrückten Frau dient auch dem Interesse der Bourgeoisie. Unsere Klasse muss Schulter an Schulter als Einheit solidarisch kämpfen.Unsere Ziele sind aus diesen Gründen nicht vereinbar mit denen des bürgerlichen Feminismus, der innerhalb der Schranken des kapitalistisch-patriarchalen Systems verharrt. Wir kämpfen für eine kollektive Bewegung aller Arbeiter:innen in vollem Klassenbewusstsein gegen das Kapital und dem mit ihm zusammenhängenden Patriarchat, das die Lebensrealitäten von Frauen und LGBTIQ* Tag für Tag diktiert und so unermessliche Gewalt und Repression verursacht, die zu Lasten derjenigen gehen, die sowieso schon durch Lohn- und Reproduktionsarbeit ausgebeutet werden. Dabei ist der Sozialismus noch kein Garant für die Befreiung von Frauen und LGBTIQ*, stellt jedoch die Weichen dafür. Wir vertreten eine internationalistische Perspektive auf die Kämpfe von Frauen und LGBTIQ* und setzen unsere Kämpfe weltweit in Zusammenhang, um von verschiedenen Erfahrungen zu lernen und als revolutionäre Bewegung an Stärke zu gewinnen.

6 Rassismus

6.1 Ein historisch-materialistischer Rassismusbegriff

Anders als ein liberal-bürgerliches Rassismusverständnis, das den Rassismus allein als individuelle Entscheidung und Ideologie darstellt, erklären wir den Rassismus historisch materialistisch und verstehen ihn als ein Strukturelement und Organisationsprinzip der kapitalistischen Produktionsweise. Wir blicken auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, aus denen Ideologien als Produkte dieser Verhältnisse erwachsen.

Ein historisch-materialistischer Rassismusbegriff versucht dabei die konkreten Produktionsverhältnisse im Verhältnis zu den Produktivkräften und den daraus entstehenden Klassenkämpfen zu analysieren. Denn wie Marx und Engels bereits im Manifest und in ‚Das Kapital‘ erkannten, stellt die Eroberung von Abya Yala (Amerika) die Grundlage des Weltmarktes und somit der kapitalistischen Produktionsweise dar. Der Prozess der Enteignung und Versklavung in den Kolonien bildet die Anfänge und Basis der europäischen Entwicklung des Kapitalismus: „Der außerhalb Europa direkt durch Plünderung, Versklavung und Raubmord erbeutete Schatz floss ins Mutterland zurück und verwandelte sich hier in Kapital.“16 Weiter stellt Marx fest, dass „die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeit in Europa […] die Sklaverei sans phrase [ohne Hülle] in der neuen Welt [bedurfte].“17 Eric Williams fasst dazu das marxistische Verständnis der Entwicklungsgeschichte des Rassismus knapp zusammen: „Sklaverei kommt nicht von Rassismus, Rassismus kommt von Sklaverei.“ Somit stellt sich Rassismus in der historisch-materialistischen Analyse zuerst als ein Produktionsverhältnis dar, das zur eigenen (Re-)Produktion eine Legitimation dieses Herrschaftsverhältnisses benötigt: die Ideologie des Rassismus. Dabei besteht dieses Verhältnis lediglich in historischer Perspektive, während es sich infolge der Entstehung des kapitalistischen System als dialektisches Verhältnis darstellt.

Als Marxist:innen verstehen wir den Prozess der Rassifizierung also als dialektischen, denn die Abwertung der ‚Anderen‘ geht auch immer mit der Konstruktion des ‚Selbst‘ einher. Die Rassifizierung der Unterworfenen dient hierbei dazu, die den rassifizierten Menschen zugeordneten Positionen in den Produktionsverhältnissen zu rechtfertigen. Dass diese Zuordnungen von Positionen innerhalb des verallgemeinerten, globalen Produktionsverhältnisses konstitutiv für das kapitalistische System sind, lässt sich mit Leichtigkeit an den seit 500 Jahren bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen des Globalen Südens vom Globalen Norden erkennen. Daran zeigt sich, dass Rassismus “eine objektive Gedankenform im Verhältnis von [dem generellen Modus der] Ausbeutung und Überausbeutung [ist]. Die Entstehungsbedingungen der rassistischen Ideologie ist die ungleiche Entwicklung der politischen Verhältnisse zwischen europäischer Metropole und den Kolonien.”18 

Der Neoliberalismus trägt Verarmung und Perspektivlosigkeit für die arbeitende Klasse in sich. Gleichzeitig zeigt die verantwortliche herrschende Klasse mit dem Finger auf ‚Migrant:innen‘, ‚Geflüchtete‘ und ‚Ausländer‘ als Verursacher:innen. Was als agitatorische Hintergrundmusik zu Sozialabbau fungiert, ist gleichzeitig die Rechtfertigung für eine aggressive imperialistische Außenpolitik im Interesse des Kapitals.

Rassismen offenbaren sich dabei nicht als statisch, sondern als durchaus flexibel, da sie – je nach Kontext – über phänotypische Marker, als auch über Religion und Kultur, die Rassifizierten kategorisieren. Antimuslimischer Rassismus findet sich in staatlichen Strukturen, sowie bei Fragen von Bleiberecht, Terror und Kriminalität oder Kampagnen wie Sarrazins Buch ‚Deutschland schafft sich ab‘.

Die dialektische Verschränkung von Rassismus als materielles Ausbeutungsverhältnis sowie strukturbildende Ideologie führt auch zur Erkenntnis, dass Rassismus als Ideologie nicht lediglich ein Widerspiegelung der materiellen Verhältnisse ist, sondern selber die materiellen Verhältnisse strukturiert. Fields merkt dazu an, dass Rassismus eine „soziale, ideologische und sozialpsychologische Eigenlogik“19 besitzt, die in lokalen Kontexten konkrete Analysen bedarf.

Der alte Kolonialrassismus erweist sich bis heute als offensichtlichste Form des Rassismus, da er Menschen anhand phänotypischer Marker rassifiziert. Darüber hinaus wirkt das Konstrukt ‚Rasse‘ auch auf dem europäischen Festland, wodurch ‚weiße Europäer:innen’ auf Grundlage eines konkreten Ausbeutungsverhältnisses auch in die Kategorie einer minderwertigen ‚Rasse‘ eingeteilt wurden. Marx beschreibt dieses Phänomen ausführlich in seinen Beobachtungen des Verhältnisses zwischen der irischen und der englischen Arbeiterklasse. Des Weiteren ermöglicht uns der historisch-materialistische Rassismusbegriff auch, entgegen liberaler Scholastik, die Genese des modernen Rassismus und Antisemitismus in einem Zusammenhang zu sehen, dessen Anfänge u.a. im Spanien des 15. Jahrhunderts zu verorten sind. Zwangskonvertierte Jüdinnen:Juden und Muslim:innen wurden bereits 1495 als conversos und moriscos bzw. ‚rraças‘ (dt. Rassen) beschrieben, die trotz Konvertierung nicht “echte Christ:innen” werden konnten. Während Jüdinnen:Juden und Muslim:innen vorher konvertieren konnten und die Abwertung noch über die Religionszugehörigkeit verlief – wobei die antisemitischen Zuschreibungen der Folgezeit bereits bestanden -, wurden im Folgenden Jüdinnen:Juden als ‚Rasse‘ konstruiert, um gleichzeitig ihren Ausschluss und die Zuteilung auf Produktionssphären zu rechtfertigen. Während der moderne Antisemitismus eine gänzlich eigene Form annahm, zeigt sich, dass das grundlegende Schaffen ‚anderer‘ kollektiver Identitäten anhand konstruierter Kategorien wie ‚Rasse‘, Kultur oder Religion, die auf negativen stigmatisierenden Merkmalen des ‚Fremden‘ und ‚Anderen‘ aufgebaut sind, nicht nur gesamte Bevölkerungsgruppen entmenschlicht, sondern vor allem ein Macht- und Herrschaftsinstrument schafft, das weit über Ländergrenzen hinweg funktioniert und die darunterliegenden (Über-)Ausbeutungsverhältnisse verwischt.

6.2 Rassistische Verhältnisse in Deutschland

Während zu Zeiten des Kolonialismus die Migrationsströme in Richtung der Kolonien verliefen, kehrte sich das Verhältnis nach den antikolonialen Befreiungsbewegungen um. Grundlage dessen war besonders der Arbeiter:innenkräftemangel in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, sodass mehrere Anwerbeabkommen geschlossen wurden. Der Dachverband der deutschen Arbeitgeberverbände konstatierte dazu, dass dadurch die „Arbeitsmarktanforderungen nach unten und oben angeglichen werden konnten.“20 Die Anwerbung von billigen Arbeitskräften, die zumeist in kasernenartigen Unterbringungen lebten und geringere Löhne erhielten, diente dabei dem Kapital dazu, eine Senkung des allgemeinen Durchschnittslohns durchzusetzen. Jedoch wurden insbesondere migrantische Arbeiter:innen und deutsche Hilfsarbeiter:innen auf dem Arbeitsmarkt einer erhöhten Konkurrenz ausgesetzt, während große Teile der deutschen Arbeiterklasse von der Überausbeutung migrantischer Arbeitskräfte profitierten und profitieren. Die mit der Schaffung des Niedriglohnsektors einhergehende Prekarisierung von deutschen und migrantischen Arbeiter:innen bringt dabei eine ‚industrielle Reservearmee‘ von Arbeitslosen hervor, die bereit ist, für jeden Lohn zu arbeiten.21

Es zeigt sich also, dass die imperialistischen Staaten Europas abhängig vom Verhältnis der Ausbeutung zur Überausbeutung sind. Das führt dazu, dass u.a. zur Sicherung des deutschen Rentensystems jährlich 400.000 Arbeitskräfte zusätzlich nötig sind, als auch, dass in der Peripherie Menschen für kaum existente Löhne Rohstoffe für die imperialistischen Industrien aus den Minen holen müssen. Daraus folgt, dass die Migrant:innen, die heute nach Deutschland kommen, in den meisten Fällen objektiv ein Teil des Proletariats sind. Die Rassifizierung der Arbeitskraft findet heute ihren Ausdruck in allen Sphären der Gesellschaft. Das Leben vieler rassifizierter Menschen zeichnet sich durch den tagtäglichen Ausschluss aus den meisten Sphären der Mehrheitsgesellschaft aus. Ob es die Nichtbehandlung oder rassistische Fehlbehandlung im Gesundheitswesen (Stichwort ‚Morbus Orientalis‘ und ‚Morbus Mediterraneus‘), der Ausschluss in der Schule durch Mitschüler:innen und Lehrkräfte, das Polizieren rassifizierter Menschen durch Mitbürger:innen, die Kriminalisierung und Rassifizierung ganzer Orte und Viertel oder der Ausschluss aus Teilen des Arbeitsmarktes wegen eines Kopftuches; rassifizierte Menschen werden nicht nur überausgebeutet, sondern sie werden zusätzlich in ihrem Alltag erniedrigt, entmenschlicht und ermordet.

Die Not der Menschen, die in die imperialistischen Zentren migrieren und fliehen, wird hier zur Stabilisierung der Produktion ausgenutzt. Jobs mit Arbeitsbedingungen und Entlohnungen, die für Mitteleuropäer:innen schon lang nicht mehr zumutbar sind, werden zur Bedingung für die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Da im Kapitalismus der Wert von Menschenleben zuvorderst nach ihrer Produktions- und Konsumkapazität bemessen wird, droht denjenigen die Abschiebung, die dieser Verwertungslogik nicht entsprechen. Dabei beruht der Kapitalismus, wie bereits skizzenhaft dargestellt, von Anfang an auf genau diesen Differenzierungslogiken. Die neu von der Bourgeoisie gestaltete soziale Hierarchisierung hat im Kern zur Entfremdung der Arbeiter:innenklasse von sich selbst und voneinander geführt und zur tiefen Spaltung beigetragen. Einer tiefen Klassensolidarität, einer ‚Klasse für sich‘, wird damit in vielerlei Schritten die Grundlage entzogen – was sich geschichtlich von Zeiten der kolonialen Sklaverei bis zum europäischen Abschottungsregime gut nachzeichnen lässt.

Klassensolidarität ist dabei auch das Mittel unserer politischen Praxis im Bereich der Migration zur Abschaffung rassistisch strukturierter Ausbeutungsverhältnisse. Dabei gilt es den Kampf gemeinsam zu führen statt Stellvertreterpolitik zu betreiben. Dementsprechend darf und kann ein antirassistischer Kampf nicht allein auf dem Kampf gegen Rassismus als Bewusstseinsproblem verweilen. Die grundlegende Erkenntnis, dass Rassismus historisch betrachtet ein konstitutives Merkmal der kapitalistischen Produktion ist, kann nur dazu führen, die eigenen antirassistischen Kämpfe immer als antikoloniale, antiimperialistische und vor allem als antikapitalistische zu verstehen.


16 Marx/Engels (1968): Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 781.

17 Marx/Engels (1968): Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 787.

18 Sarbo, Bafta (2022): Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse. In: Eleonora Roldán Mendívil/Bafta Sarbo: Die Diversität der Ausbeutung, S. 45.

19 Fields, Barbara J. Fields (1982): Ideology and Race in American History. In: J. Morgan Kousser/James M. McPherson: Region, Race and Reconstruction, S. 143-177.

20 Sarbo, Bafta (2022): Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse. In: Eleonora Roldán Mendívil/Bafta Sarbo: Die Diversität der Ausbeutung, S. 50.

21 Vgl. Sarbo, Bafta (2022): Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse. In: Eleonora Roldán Mendívil/Bafta Sarbo: Die Diversität der Ausbeutung, S. 50.

7 Antisemitismus  

Die heutige Form des Antisemitismus ist eine Ideologie der Moderne und eine Reaktion auf die zunehmende gesellschaftliche Komplexität. Anders als im mittelalterlichen Antijudaismus, wo die Glaubensgemeinschaft der Jüdinnen:Juden als Gottesmörder markiert wurden, werden Jüdinnen:Juden im modernen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts als biologische ‘Rasse’ verstanden, deren Verhalten auf konkrete biologische Dispositionen zurückzuführen sei.22 Ähnlich der Entstehung des modernen Rassismus, ist auch die Entstehung des modernen Antisemitismus dabei eng mit dem Leistungsprinzip als zentralem Motiv der kapitalistischen Gesellschaft verbunden. Die Rassentheorien des 19. Jahrhunderts versuchen die Ungleichheit der ‘Rassen’ anhand ihrer vermeintlichen Leistungsfähigkeit wissenschaftlich zu belegen und eine Abwertung von Jüdinnen:Juden und schwarzen Menschen zu legitimieren. Dieser pseudowissenschaftliche Rassismus ist tief in die weiße ‘Leistungsgesellschaft’ eingeschrieben und wird immer wieder an Stereotypen wie den ‘faulen Südländern’ oder ‘gierigen Juden’ deutlich.23

In seiner aktuellen Form nutzt der Antisemitismus das ‘Gerücht über den Juden’24 als universelles Erklärungsmuster für alle Probleme der globalisierten kapitalistischen Gesellschaft. Dieses Erklärungsschema funktioniert komplexitätsreduzierend und unterteilt die Welt in Gut und Böse. Die simple Dichotomie ermöglicht die Überzeugung von der eigenen Unschuld angesichts ungerechter und gewaltvoller Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse. Dabei entzieht er sich dem binären System der Hierarchisierung zweier Kulturen, Religionen oder Nationen. ‘Die Juden’ werden hier als omnipotente Gruppe dargestellt, die sich in das gesellschaftliche System einschleiche und es von innen heraus zerstöre. Sie gelten als Verursacher aller gesellschaftlichen Probleme und dienen als einfaches Erklärungsangebot für sehr viel komplexere Phänomene.25

Fast alle Verschwörungsmythen bedienen sich dieser antisemitischen Grundstruktur. Eine moralisch überlegene Gruppe, symbolisiert durch den ‘einfachen’ oder ‘kleinen Mann’, sieht sich einer Bedrohung nicht absehbaren Ausmaßes ausgesetzt. Diese Mythen kombinieren die Vorstellungen einer geheimen Macht zur Steuerung der Weltwirtschaft, mit der Vorstellung von der Unterwanderung und Zersetzung einer als unschuldig und verletzbar imaginierten Gesellschaft bzw. ‘Volkskörpers’. Statt der völkischen Vorstellung der ‘Durchrassung’ ist heute jedoch eher die Rede vom ‘großen Austausch’, für den ‘die Juden’ oder die ‘ZOG’ (‘Zionist Occupied Government’) verantwortlich gemacht werden. Diese imaginierte Bedrohungslage rechtfertigt sodann auch eine Selbstverteidigung, die nicht moralisch hinterfragt werden muss und bis zur physischen Vernichtung des vermeintlichen Feindes reicht, wie der deutsche Faschismus in Form der Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen:Juden während der Shoa gezeigt hat. Denn letztlich verspricht seine Vernichtung die Befreiung von den Belastungen einer komplexen Welt.26 Dieses Muster ist auch bei dem Attentäter von Halle zu finden, der zwar auch Muslime und Linke hasst, aber in ‘ZOG’ und ‘Juden’ die eigentlichen Drahtzieher sieht.

Diese Externalisierung von Morallosigkeit, Zügellosigkeit und Gier in der Figur des ‘Juden’ erklärt somit auf der einen Seite den Widerspruch des ‘kleinen Mannes’, zwar Teil der ‘Herrenrasse’, dabei jedoch scheinbar machtlos gegenüber den Zwängen des kapitalistischen Systems zu sein. Auf der anderen Seite werden die ‘aufgeklärten’ Europäer von der Schuld der kolonialen Ausbeutung des globalen Südens entlastet: So sind es stets die als ‘Juden’ markierten anderen, die durch Ausbeutung reich geworden sind und die in diesem Interesse auch die kolonialen Verbrechen begangen haben.27 Ähnliche Muster sind auch im Deutschland der Nachkriegszeit im Bezug auf die Shoa zu erkennen: Durch die Zuweisung negativer Attribute wird den Opfern des völkischen Nationalsozialismus eine Mitschuld an ihrer Verfolgung und Vernichtung gegeben. Dies führt zu einer psychologischen Entlastung von der Verantwortung der Täter:innen. Dieser Aspekt der Schuldabwehr ist insbesondere auch in Deutschland für die Attraktivität antisemitischer Denkmuster verantwortlich.28

Die dargelegte Komplexität des Phänomens erschwert eine einheitliche und allgemeingültige Definition von Antisemitismus. Nichtsdestotrotz halten wir eine begriffliche Klärung für zwingend notwendig, um antisemitisches Verhalten und antisemitische Denkmuster als solches klar benennen, kritisieren und bekämpfen zu können. Denn leider stehen diese viel zu oft einer materialistischen Gesellschaftsanalyse im Wege und sind häufig die Grundlage von verkürzter Kapitalismuskritik. Für uns ist daher der Kampf gegen Antisemitismus aus zwei Gründen obligatorisch: Zuallererst natürlich, um die ihm innewohnende Vernichtungslogik zu bekämpfen, damit sich die Katastrophe von Auschwitz nicht wiederholt – daneben jedoch auch, um mit dem falschen Bewusstsein des kapitalistischen Normalzustands zu brechen und einen solidarischen Kampf aller Unterdrückten gegen die Klasse der Kapitalist:innen zu ermöglichen.


22 Brumlik, Micha (2022): Ist Antisemitismus eine Form von Rassismus? Zum Verhältnis von Rassismus und ANtisemitismus. In: Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold (Hg.): Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen, S. 85.

23 Axter, Felix (2022): Historische Verflechtungen. Antisemitismus und (Kolonial-)Rassismus in der Leistungsgesellschaft. In: Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold (Hg.): Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen, S. 69.

24 Adorno, Theodor W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus einem beschädigten Leben. S.200.

25 vgl. Messerschmidt, Astrid (2022): Sind Rassismus und Antisemitismus Formen von Diskreminierung? Zwischen Unschuld und Überlegenheit – Antisemitismus und Rassismus als Weltbilder.  In: Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold (Hg.): Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen, S. 79-83.

26 Krieg, Deborah: Bedrohte Herrenmenschen. Zu Funktion und Nutzen von Antisemitismus und Kolonialrassismus.  In: Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold (Hg.): Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen, S. 61f.

27 Ebd.

28 Messerschmidt, Astrid (2022): Sind Rassismus und Antisemitismus Formen von Diskriminierung? Zwischen Unschuld und Überlegenheit – Antisemitismus und Rassismus als Weltbilder.  In: Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold (Hg.): Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen, S. 82.

8 (Anti-)Faschismus

Als Kommunist:innen stehen wir im natürlichen Antagonismus zum Faschismus und seinen Verbündeten. Doch wenn wir von Faschismus sprechen, dürfen wir nicht der bürgerlichen Lesart des Begriffes, den Reflexen des angeordneten Staatsantifaschismus oder ähnlichem auf den Leim gehen. Der bürgerliche Staat als solches birgt immer auch das Potenzial in sich, in Teilen oder Gänze den Faschisten durch den ihm innewohnenden Rassismus, Antisemitismus und seiner patriarchaler Strukturen Raum zu lassen. Faschisten bilden im Kapitalismus eine heimliche Reserve in Form von Schlägertrupps, Schattenarmeen oder Ähnlichem und aus historischer Perspektive das Mittel der Wahl der herrschenden Klasse – sobald sich im Proletariat Widerstand von Links regt -, um mögliche Aufstände niederzuschlagen bzw. im Keim zu ersticken.

Somit bleibt bei aller Aktualität faschistischer Umtriebe und Bewegungen in Deutschland, Europa und der Welt ein Blick in die Geschichte des Faschismus unabdingbar, um sein Potenzial und seine Mechanismen als Form bürgerlicher Herrschaft zu begreifen und in die eigene Analyse einfließen lassen zu können.

Es wird auf analytischer Ebene deutlich, dass man von drei Phasen innerhalb der Historie des Faschismus sprechen kann:

  1. die Herausbildung einer spezifischen faschistischen Ideologie – nicht im Sinne einer geschlossenen und konsistenten politischen Weltanschauung, sondern als fragmentarisches Gebilde unterschiedlicher ideologischer Bezugsquellen, das in Folge der weiteren Ideenverflechtung fähig war, auch im Marxschen Sinne, die Massen zu ergreifen.
  2. die Entwicklung einer eigentlichen Bewegung im Sinne der politischen Organisation in Italien, die sich selbst als Faschisten betitelte.
  3. der Faschismus an der Macht, wie er in Deutschland und Italien in vollem Maße und in anderen europäischen Ländern zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ansätzen vorzufinden war.

Obgleich der Faschismus nicht ohne die Hilfe des bürgerlichen Konservatismus und der gesellschaftlichen Eliten an die Macht gelangen und ohne die maßgeblichen Fraktionen der herrschenden Klasse als Bündnispartner nicht hätte an der Macht bestehen können, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine ideologischen Anknüpfpunkte vielfältiger sind, als seine spätere politische Funktion.

So bildet der Faschismus seinem eigenen Anspruch nach eine Volksbewegung, welche die Unzufriedenheit der Menschen auf bestehende Verhältnisse äußert, jedoch die kapitalistische Ordnung nicht gefährdet. Der Faschismus hat die Möglichkeit, alle Schichten und Klassen zu mobilisieren. Jedoch bleibt festzuhalten, dass bestimmte Sozialgruppen innerhalb einer faschistischen Herrschaft in ihrer Präsenz andere dominieren. So waren es in der Weimarer Republik vor allem die vom Krieg Entwurzelten, die im Sozialleben nicht mehr Fuß fassen konnten: Offiziere der Weltkriegsarmeen, die in den kleinen Heeren der Friedensperiode keinen Platz fanden, aber nach einer Möglichkeit suchten, ihre militärischen Denk- und Verhaltensformen beizubehalten, sowie Teile des ruinierten Mittelstandes und des Kleinbürgertums. Ihre Abgrenzung zur Arbeiter:innenklasse basiert auf dem Privateigentum.

Wenn auch der Beginn der faschistischen Bewegung in den 1920 Jahren den Anschein erweckt, es seien vor allem die sozial Abgehängten und Militaristen, so wäre es ihm auf dieser Basis nicht möglich gewesen, innerhalb der politischen Landschaft der Weimarer Republik eine derartige Bedeutung zu erreichen. Gerade die soziale Entwicklung im Kapitalismus legte in breiten Schichten Potential frei, das vom Faschismus durch geschickte Propaganda und einer in der kleinbürgerlichen Familie angelegten, schon in sich faschistoiden Grundmotivation mobilisiert werden konnte.

So bleibt für uns zu beachten, dass es sich zu Beginn der faschistischen Bewegung zwischen 1918 und 1923 um eine stark militärisch geprägte und terroristisch agierende Bewegung handelte, die im speziellen dazu diente, sozialistische und kommunistische Tendenzen in der Arbeiter:innenbewegung im Auftrag der herrschenden Klasse zu bekämpfen. Das „Führerprinzip“ wurde als Gesamtwillen des Volkes begriffen und auf diverse Teile der Gesellschaft angewandt. Bspw. Die Patriarchale Herrschaft des Mannes innerhalb der Kleinfamilie, die Herrschaft des Unternehmers im Betrieb oder der militärische Drill ist dessen angelehnt. Die Parole der faschistischen Jugend Italiens lautete: „Glaube, gehorchen, kämpfen.“

Es ergab sich im Verlauf dieser Krisenjahre eine strukturelle Verknüpfung von Faschismus und bürgerlicher Gesellschaft sowie Kapitalismus, die im weiteren Prozess als totalitärer Monokapitalismus zu bezeichnen ist. Dieser setzt sich wiederum aus einer Monopolwirtschaft und einer Befehlswirtschaft zusammen; eine privatkapitalistische Ökonomie, die durch den totalitären Staat reglementiert wird.

Faschismus bringt eine Ablösung der bürgerlichen Demokratie hin zu einem gewaltvollen und ideologisch willkürlichem Regime zur terroristischen Durchsetzung der innen- und außenpolitischen Interessen des Monopolkapitals. Zu nennen sind hier vier herrschende Gruppen, deren Interaktion den Bündnischarakter des Faschismus und seine Verbindung mit den alten Eliten unterstreicht. Diese vier Gruppen sind das Monopolkapital, die Partei, die Bürokratie und das Militär.

Daher ergibt sich, dieser Analyse folgend, ein Zusammenspiel aus alten Eliten, die durch die Kooperation mit den neuen Machthabern eine Festigung ihrer eigenen Machtposition und Sicherung ihrer Kapitalverhältnisse suchen und zugleich jegliche Opposition zerschlagen bis hin zur physischen Vernichtung.

So entlarven sich im ersten Moment die von den Faschisten verwendeten Narrative eines nationalen Antikapitalismus und nationaler Solidarität als reine Augenwischerei. Es handelt sich lediglich um die Anwerbung und Irreführung der Arbeiter:innenklasse. Den Faschisten eigen war und ist in diesem Sinne immer wieder ein Verbalsozialismus, da ihnen mangels einer eigenen konsistenten Ideologie, ein tatsächlich die Massen einendes progressives Element fehlt. So bedienen sie sich in ihrer Fragmentierung immer wieder an Versatzstücken anderer Ideologien. Es werden dementsprechend im Faschismus gerade diejenigen Elemente benötigt, die eben nicht auf die Legitimierung der realen Politik abzielen, sondern deren Verschleierung fokussieren und die progressiven Teile der Gesellschaft zu spalten.

Charakteristisch hierfür ist das schaffen der „Volksgemeinschaft“. Mit Rassismus als identitätsstiftendendes Merkmal und einer vermeintlichen völkischen Natürlichkeit wird eine Gemeinschaft Menschen gleicher Abstammung geschaffen. Diese vermeintliche Überlegenheit des eigenes Volkes musste vor volksfeindlicher Zersetzung geschützt werden wie es Kritik, Opposition und Widerstand ist. Klassengegensätze werden verschleiert und Arbeiter:innen anhand rassistischer Merkmale gespalten, weiter werden nach außen diffuse Feindbilder geschaffen die sich auf Rassismus, Verschwörungstheorien und einen eliminatorischen Antisemitismus stützen.

In seiner autokratischen Funktionsweise in Kooperation mit den alten Eliten werden also gerade Tendenzen der konkreten Machtbedrohung (politisch, wie auch ökonomisch), also der politische Gegner in Form der Kommunisten und Demokraten, mit einem abstrakten Gegner des Volkstums, also dem “Andersrassigen”, dem Homosexuellen, dem “Entarteten” verbunden. Die Beseitigung des politischen Gegners hat hierbei die besonders pragmatische Komponente des Machterhalts. Zum einen kann sich hierbei auf tief verwurzelte Ressentiments des Bürgertums gegenüber der „Anderen“ (Juden, Homosexuelle, Roma & Sinti etc.) berufen werden, aber weiter noch etabliert sich durch die Schaffung eines „gemeinsamen Feindes“ eine scheinbar klassenübergreifende Form der Einheit des Volkes und eine quasi-Aushebelung der eigentlichen Klassengrenzen ohne Antasten der bestehenden Eigentumsverhältnisse. All dies um von den eigentlichen Verursachern sozialer Unzufriedenheit abzulenken.  

Diesem Prinzip folgend sind auch aktuelle faschistische Elemente, Bewegungen und Auswüchse singulär und in ihrem Gefahrenpotential immer abhängig vom Zustand des bürgerlichen Staates, seiner Eliten und Institutionen. Ein Erstarken bzw. in Erscheinung treten faschistischer Elemente zeichnet sich auf politischer Ebene immer wieder durch die jeweilige Krisenhaftigkeit einer Periode oder Bewegung aus.

In dieser Lesart verharrend kommen wir damit nicht umher, die Verquickung von Kapital und Elite und der Aufrechterhaltung faschistischer Strukturen als Fakt und reale Bedrohung unserer Bewegung zu betrachten. In diesem Sinne ist auch die Version des bürgerlichen Antifaschismus oder „Staatsantifaschismus“ von uns abzulehnen und auf das kritischste zu betrachten. Neigt der bürgerliche Staat doch gerade auch durch dieses Modell dazu, engagierte Antifaschist:innen in seinem Sinne als willige Unterstützung im Kampf gegen seine eigenen, aus der Reihe getanzten Faschisten zu nutzen. Es kämpfen somit Genoss:innen im Sinne einer bürgerlichen Verfassung gegen politische Gegner, denen sich auch der bürgerliche Staat entledigen will. Dementsprechend stellt ein, wie aktuell primär durch die radikale Linke betriebener, Feuerwehr-Antifaschismus für den bürgerlichen Staat eine ideale Lösungsstrategie dar: die radikale Linke zerfasert sich in Kleinstaktionen, Demonstrations- und Blockademarathons, eine politische Bildung und Vernetzung muss somit auf der Strecke bleiben, während der Staat sich selber hierdurch immer mehr Befugnisse zu eigen macht und seine autoritäre Formierung manifestiert.  

Aus kommunistischer Perspektive bleibt somit als einzig logischer Schritt den Antifaschismus untrennbar mit dem Aufbau eigener Strukturen und dem Kampf gegen Kapitalismus und die Herrschaft der Monopole zu betreiben, anstatt ihn als isolierten Kampf zu betrachten.

9 Imperialismus und Internationalismus

Nach der umfassenden Analyse der grundsätzlichen Mechanismen des Kapitalismus durch Marx und Engels entwickelte sich der Kapitalismus entscheidend weiter und entwickelte ein imperialistisches Wesen.

Viele wichtige Theoretiker:innen des Marxismus skizzierten dabei die Grundzüge des Imperialismus mit sich monopolisierenden Produktionsstrukturen, also einer Konzentration und Zentralisation von Kapital. Durch diese entsteht überschüssiges Kapital, welches internationalisiert werden muss, wodurch sich die kapitalistischen Fraktionen über ihren nationalen Raum hinaus ausbreiten müssen. Der Kapitalismus setzte sich im Weltmaßstab durch und der bürgerliche Staat leistete dabei durch koloniale Ausbeutung Hilfestellung, um die Interessen der herrschenden Klasse durchzusetzen. So entstehen mit Anfang des letzten Jahrhunderts immer mehr geopolitische Einflusssphären, in denen nicht mehr nur „nationale” Einzelkapitale untereinander konkurrieren, sondern mächtige Staaten bzw. Staatenblöcke aufeinander treffen.

Der Imperialismus befindet sich dabei in einem stetigen Wandel. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ließ er sich vor allem durch seine gewaltsame Aneignung von Land und Ressourcen, wie z.B. in Form von Kolonien, charakterisieren. Auch ein aggressiver nationalistischer Expansionismus, welcher die Ländergrenzen ungeachtet der Bevölkerung immer wieder neu zog, prägte diese Ära des Imperialismus. Dabei ist das Instrumentarium des Imperialismus gegenwärtig mannigfaltig, das heißt seine Wirkungsweise erschöpft sich nicht nur in gewaltsamen Konflikten, im Sinne von ‚heißen Kriegen‘, sondern kann sich auch zum Beispiel in der Art und Weise wie Handelsbeziehungen zwischen Staaten kodifiziert sind, äußern. Seit der schrittweise beginnenden, offiziellen Dekolonialisierung, und des abnehmenden Protektionismus im Zuge der Globalisierung (in aller Schärfe seit den 90er Jahren), tritt dieser wirtschaftliche Imperialismus immer ernstzunehmender auf. Mit ihm einher gehen die gewaltsame Aneignung von Rohstoffen, wirtschaftliche Sanktionen, welche die betroffene Bevölkerung Hunger leiden lassen, undurchsichtige Lieferketten oder die Abhängigkeit ganzer Bevölkerungsgruppen von einzelnen Konzernen. Die USA traten lange Zeit (und bis zum heutigen Tag) als weltweite Hegemonialmacht auf und drohen jetzt von der Volksrepublik China abgelöst zu werden, die ihre wirtschaftliche Einflussnahme immer weiter ausbaut.

In diesem Kontext dominieren Staaten, wie bspw. die BRD, die bereits mit Hilfe des Arguments ihrer großen Wirtschaftskraft Druck auf ökonomisch weniger ‚erfolgreiche‘ (weil weniger expansive, imperialistisch agierende) Staaten ausüben, wie es etwa in der Banken- und Wirtschaftskrise der späten 2000er und frühen 10er Jahre zum Leidwesen der Menschen in diversen südeuropäischen Staaten passierte.

Auch heute findet erneut vermehrt geografisch expansionistischer, z.T. neokolonialer Imperialismus statt. Ob in Form finanzieller Unterstützung von Landerschließung in Mittelamerika auf Kosten indigener Gruppen durch europäische Banken, in Form militärischer Einmärsche und Besatzung wie beispielsweise in Nordsyrien und Nordirak gegen die dort lebende kurdische Bevölkerung durch die Türkei.

Entscheidend für Kommunist:innen ist dabei die korrekte Analyse des aktuellen Ausformungen des Imperialismus und seiner Akteur:innen. Während nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die große Systemkonkurrenz beendet schien und mit dem vermeintlichen „Ende der Geschichte“29 auch die weltweite Dominanz der USA, und dem von ihr dominierten Westen, gesiegt hatte, hat sich die Welt doch entscheidend weiter verändert. Die USA bleiben zwar durch den Dollar und ihre weltweite militärische Dominanz der größte imperialistische Akteur, werden jedoch zunehmend in ihrer Rolle herausgefordert. So treten China und Russland vermehrt auf die Bühne der weltweiten Konkurrenz, und auch die Europäische Union versucht sich vielerorts als eigenständiger imperialistische Akteur zu etablieren. Auch viele regionale Mächte konkurrieren um politischen Einfluss und Marktzugang mit immer aggressiveren Mitteln – Beispiele dafür sind unter anderem der Iran, die Türkei, aber auch Saudi Arabien oder Indien. 

Wir befinden uns in einer multipolaren Welt, in der imperialistische Akteur:innen diese unter sich aufteilen und dabei, wenn es ihnen denn notwendig erscheint, auch mit kriegerischer Gewalt versuchen, ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu erlangen. Unter ihren Kriegen und ihrer Politik leidet schlussendlich immer die Arbeiter:innenklasse, welche für die Kriege und Expansion der herrschenden Klasse den Kopf hinhalten muss. Für Kommunist:innen in den Ländern des imperialistischen Zentrums ist eine grundsätzlich antiimperialistische und antikoloniale Haltung essenziell. Diese beinhaltet eine konsequent antimilitaristische Position. Wir nehmen jedoch keine pazifistische Position in der Realität der Klassengesellschaft ein, sondern wissen darum, dass die Kapitalist:innenklasse ihre Macht nicht von selbst abgeben wird.

9.1 Proletarischer Internationalismus

Internationalismus stellt einen essenziellen Teil kommunistischen Denkens und Handelns dar. Durch die Aufteilung der unterschiedlichen Gesellschaften in Klassen entstehen unterschiedliche Prägungen in Bezug auf politische und historische Erfahrungen. So werden Faktoren wie bspw. Nationalität, Hautfarbe und sexuelle oder geschlechtliche Identität häufig als trennende Merkmale im politischen Kampf verstanden. Zersplittert fehlt uns als Kommunist:innen jedoch die Schlagkraft. Wir sehen diese unterschiedlichen Kontexte und verstehen trotzdem, dass uns unser kämpferisches Interesse eint. Daher solidarisieren wir uns mit emanzipatorischen Kämpfen weltweit.

Während das kapitalistische System von der Konkurrenz der Menschen untereinander profitiert, und dementsprechend Narrative von einem ‚gegeneinander ankämpfen der Nationen (bzw. Nationalstaaten)‘ spinnt, setzt die kommunistische Bewegung diesen Erzählungen ihre internationale Solidarität entgegen. Diese Solidarität fußt auf den gemeinsamen Klasseninteressen, dem geteilten Kampf gegen Bourgeoisie, Kapitalinteressen und gegen national orientierte Standortlogik auf Kosten Anderer.

Für den gemeinsamen internationalistischen Kampf ist der Klassencharakter der verschiedenen Bewegungen entscheidend, sowie die grundsätzlichen gesellschaftlichen Perspektiven aller Befreiungsbewegungen. Von der EZLN in Mexiko, der ELN in Kolumbien, den kommunistischen Parteien in Indien oder auf den Philippinen, der PKK, den Widerstandskämpfen in Palästina mit emanzipatorischen Zielsetzung und den panafrikanischen Bewegungen bis zur „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA – mit all diesen Kämpfen solidarisieren wir uns.

Aus dem antiimperialistischen Kampf allein speist sich jedoch noch kein progressiver Charakter – so sollten wir immer ein waches Bewusstsein über nationalistische und reaktionäre Tendenzen haben, da sie in direktem Gegensatz zu einer klassenorientierten Politik stehen. Denn wie Frantz Fanon in Die Verdammten dieser Erde feststellt, „darf der antikoloniale Kampf gegen die politische Kolonialherrschaft nicht den sozialen Kampf um Eigentumsverhältnisse und die Organisation der Gesellschaft ersetzen.“30

Wir treten entschlossen allen Versuchen entgegen, Bewegungen verschiedener von Diskriminierung, Ausbeutung, Unterdrückung und/oder Verfolgung betroffenen Gruppen gegeneinander auszuspielen und dadurch einerseits von einer klassenorientierten Perspektive abzurücken, und andererseits Spaltungen des revolutionären Spektrums.


29 Fukuyama, Francis (1992): The End of History and the Last Man.

30 Sarbo, Bafta (2022): Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse. In: Eleonora Roldán Mendívil/Bafta Sarbo: Die Diversität der Ausbeutung, S. 43.

10 Klassenkampf, Widerstand, Revolution

„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“31
– Karl Marx und Friedrich Engels

Mit diesen berühmten Worten leiten Marx und Engels 1848 das erste Kapitel „Bourgeois und Proletarier“ des „Kommunistischen Manifests“ (MEW 4) ein. Obwohl dieser grundlegend strukturierende Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit weiterhin besteht, hat sich die Ausgestaltung des Ausbeutungsverhältnisses in den letzten 175 Jahren maßgeblich verändert. So stiegen in der Ära des Fordismus aufgrund von Produktionssteigerungen in Form von Fließbandarbeit die Löhne der Beschäftigten bei gleichzeitigem Sinken der Preise von Konsumgütern. Die damit einhergehende Etablierung eines Wohlfahrts- und Sozialstaates, der auch als Reaktion auf die Systemkonkurrenz zu verstehen ist, haben statt eines prophezeiten Zusammenbruchs zu einer Phase der Stabilisierung des Kapitalismus geführt.

Statt Klassenkampf gilt nun schon seit langer Zeit das Ideal der Sozialpartnerschaft, einer Kooperation von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden um des sozialen Friedens willen, das den grundlegenden Klassenwiderspruch jedoch unangetastet lässt. Mit der darauf folgenden Phase des Neoliberalismus bröckelt nun der viel beschworene „gesellschaftliche Zusammenhalt“ und es kommt zu einer massiven Deregulierung der  Wirtschafts- und Sozialpolitik, die in Deutschland mit der von der SPD durchgesetzten „Agenda 2010“ voll einschlägt. Dabei nimmt der Anteil der klassischen Industriearbeit in den imperialistischen Zentren weiterhin ab und wird durch prekäre und informelle Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungssektor ersetzt.32 Diese nach wie vor andauernde Phase ist durch eine zunehmende Individualisierung der Arbeiter:innen und Fragmentierung der Arbeiter:innenklasse charakterisiert.33

Einhergehend mit der Desorganisierung der Arbeiter:innen und Schwächung der Gewerkschaften ist der Konsens innerhalb der Linken, welcher die Organisierung von Arbeiter:innen und den daraus folgenden Arbeits- und Klassenkampf als Hauptinstrument im Kampf um eine emanzipatorische Gesellschaft begriffen hat, verloren gegangen. Im Zuge dessen wurde vielerorts Klasse als analytische Kategorie und politischer Bezugspunkt aufgegeben und die Perspektive der Überwindung des Kapitalismus gleich mit über Bord geworfen. Gleichzeitig geht der Klassenkampf von Oben ungebremst weiter.34

Abseits der historischen Schwäche der linken Bewegung müssen wir uns jedoch auch die Frage stellen, warum diese gesellschaftliche Ordnung trotz massiver Krisen und zunehmender Prekarisierung weiterhin Bestand hat und sich großer Zustimmung erfreut. Warum findet eine gesellschaftliche Ordnung, deren staatliche Organe sich zuvorderst den Interessen einer kleinen Zahl von Produktionsmittelbesitzer:innen verpflichtet haben und die einen Großteil der Menschen ausbeutet, so breite Unterstützung? Warum erhebt sich die Klasse der Ausgebeuteten nicht gegen ihre Unterdrücker, sondern reproduziert stattdessen die bürgerliche Ideologie und trägt damit zur Stabilisierung des Systems bei? 

Gründe hierfür sind sowohl in der Stabilität des Kapitalismus wie auch der generellen Schwäche der linken Bewegung zu suchen, die sich wechselseitig bedingen. Die Stabilität des Kapitalismus ergibt sich insbesondere aus seiner Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Er befindet sich in einer stetigen Transformation. Den Eliten gelingt es zudem stetig, untergeordnete Gruppierungen in das System zu integrieren.35 Diese Absorption beinhaltet sowohl die Integration von politischen Akteur:innen wie auch die Einbindung ausgewählter politischer und ideologischer Forderungen, die oppositionellen bis revolutionären Kräften den Wind aus den Segeln nehmen soll. Ihre emanzipatorische Kraft soll in die Modernisierung des Systems umgelenkt werden, ohne die zugrundeliegende Klassenherrschaft anzugreifen. Ein Beispiel ist die Politik der Sozialpartnerschaft durch die Gewerkschaften. Der Klassenkampf in der BRD ist seit Jahrzehnten deutlich unterentwickelt. Forderungen sowie Zugeständnisse zielen meist nur auf den Erhalt des gesellschaftlichen Friedens ab. Jedoch hat sich seit Ende der 60er Jahre eine Vielzahl politischer Widerstandsbewegungen formiert, die zwar meistens auf ihre spezifischen Themen fokussiert waren, teilweise jedoch über diese hinaus auch die Systemfrage stellten. Sie scheiterten jedoch vielfach an der mangelnden Erkenntnis über die kapitalistische Grundstruktur der Gesellschaft, sowie der ungenügenden Verbindung der diversen Kampffelder. Da weder der zugrunde liegende Klassenwiderspruch adressiert, noch die die Gesellschaft strukturierenden Verhältnisse attackiert wurden, war ihr Scheitern bzw. ihre Systemintegration zum Preis der Korruption unausweichlich.

Angesichts dieser andauernden Systemstabilität reicht es nicht mehr aus, den Klassenkampf auf die Betriebe und staatliche Institutionen zu beschränken. Es ist vielmehr erforderlich, das Feld der Kultur im weitesten und alltäglichsten Sinne anzugreifen: „Die Macht der herrschenden Klasse ist sowohl geistig als auch materiell; und jede ‘Gegenhegemonie’ muß ihre Kampagne auch auf den bis heute vernachlässigten Gebieten der Werte und Gebräuche, der Sprachgewohnheiten und Rituale führen.“36 Das heißt der Klassenkampf muss ein alltäglicher werden, der in den Betrieben genauso zu führen ist wie in den Schulen, Kneipen und Sportvereinen. Nur wenn es uns gelingt ein System von Klassenbündnissen zu etablieren, die Mehrheit der werkstätigen Bevölkerung gegen den Kapitalismus und den bürgerlichen Staat zu organisieren, kann das Proletariat zur führenden und herrschenden Klasse werden, um sich schließlich durch den Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft selbst abzuschaffen.37

Die Unfähigkeit der radikalen Linken auf breite Teile der Bevölkerung Einfluss zu nehmen, sie für sozialistische Ideen zu begeistern und so die Unterstützung breiter Teile der Arbeiter:innenklasse im Klassenkampf zu organisieren, ist der Hauptgrund für ihre historische Schwäche. Demnach muss es ein Hauptanliegen eines jeden emanzipatorischen politischen Projekts sein, den widersprüchlichen Alltagsverstand zu einem kritischen zu machen, der sich keinen Normen ohne vorherige Prüfung unterwirft. Denn die bürgerliche Hegemonie erhält ihre Stabilität erst dadurch, dass sie im Alltagsverstand, in den alltäglichen Praxen und Selbstverständlichkeiten der Menschen verankert ist. Eine revolutionäre Bewegung muss den Kampf um diesen Alltagsverstand, also den „Kampf um politische ‘Hegemonien’“,38 aufnehmen. Dabei gilt es, den Alltagsverstand selbst als Ausgangspunkt zu wählen, ihn von seinem Standpunkt aus zu kritisieren und dadurch selbst ‘kritisch’ zu machen.39

Dabei muss jedoch jegliche elitäre Haltung, die den Alltagsverstand der Menschen als borniert kritisiert und die alltäglichen Erfahrungen als Anknüpfungspunkt für progressive Politik verwirft, vermieden werden.40 Genauso ist jedoch eine populistische Strategie abzulehnen, die den widersprüchlichen Alltagsverstand als Maßstab für politische Positionen missversteht.

Beim Kampf um Hegemonie gilt es jedoch das revolutionäre Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, denn der Klassenkampf von oben tobt ununterbrochen weiter, während die Arbeiter:innenklasse nur mangelhaft organisiert ist. Ihre derzeit größten Organe im Kampf gegen die Klasse der Unterdrücker:innen sind die DGB-Gewerkschaften. Es ist kein Geheimnis, dass deren Charakter jedoch durch sozialdemokratische Führung und die Idee der Sozialpartnerschaft korrumpiert ist. Die Arbeiter:innenbürokratie unterdrückt revolutionäre Bestrebungen innerhalb der Arbeiter:innenschaft, um die herrschenden Produktionsverhältnisse beizubehalten.

Die durch Gewerkschaftsführung befriedeten, organisierten Teile unserer Klasse stehen folglich still. Gleichzeitig sind die Gewerkschaften aber immer noch Bezugspunkt und Sammelbecken für Menschen, die nach tendenziell progressiven Veränderungen unserer Arbeits- und Lebensverhältnisse streben. So können wir gerade hier potenzielle Genoss:innen und Menschen finden, die bereit sind, für ihre Interessen und darüber hinaus zu kämpfen. Dafür muss allerdings das fehlende Klassenbewusstsein geweckt werden, um die Gewerkschaftler:innen darauf aufmerksam zu machen, dass nur durch einen revolutionären Kampf der grundlegende Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben werden kann. Denn trotz aller Kritik sind Gewerkschaften noch immer die erste und wirksamste Verteidigungslinie gegen neoliberale Auswüchse. Als Kommunist:innen müssen wir daher jegliche Klassenkämpfe um Lohn, Arbeitszeit und -bedingungen solidarisch begleiten und energisch unterstützen, ohne unseren revolutionären Anspruch zu verlieren. Reformen können zwar die realen Lebensumstände der Arbeiter:innenklasse verbessern, dienen jedoch gleichzeitig der gesellschaftlichen Befriedung und lösen nicht den zugrundeliegenden Klassenwiderspruch. Für uns ist daher klar, dass eine solidarische und emanzipatorische Gesellschaft nur durch eine Revolution, also die Überwindung der bestehenden Verhältnisse, erreichbar ist. 

10.1 Politische Widerstandsbewegung

Der Klassenkampf und die revolutionäre kommunistische Organisierung in der BRD sind seit Jahrzehnten deutlich unterentwickelt. Als politische Basis hat sich Ende der 60er Jahre jedoch eine Vielzahl politischer Widerstandsbewegungen formiert. Diese waren meist jeweils auf spezifische Themen fokussiert und konnten in ihren Kampffeldern große Menschenmassen begeistern und mobilisieren. Was allerdings nicht gelang, war eine langfristige Verbindung der Kämpfe und eine gemeinsame Einbettung in eine revolutionäre Strategie, was wahlweise zu ihrem Scheitern oder einer Systemintegration unter Aufgabe wichtiger radikaler Forderungen führte. Die Fortführung dieser Form der politischen Organisierung sehen wir noch heute. Fand der politische Kampf anfangs des 20. Jahrhunderts noch vorwiegend in den Betrieben und Gewerkschaften statt, arbeiten und agitieren wir mittlerweile zum Großteil in der politischen Widerstandsbewegung. Vorrangiger Faktor für eine Politisierung sind dabei i.d.R. nicht mehr die konkreten materiellen Verhältnisse; die Grundlage für gemeinsame Organisierung ist nicht mehr der gleiche Arbeitsplatz. In den Vordergrund sind vielmehr eine moralische Überzeugung und kleinbürgerliche Bedürfnisse gerückt.

Viele Strukturen, die in der politischen Widerstandsbewegung tätig sind, haben eine begrenzte Lebensdauer. Wird eine Bewegung zu erfolgreich, wird sie zerschlagen oder es wird versucht sie in das bestehende System zu integrieren. Die ursprünglichen Forderungen werden dann so weit liberalisiert, dass sie innerhalb der herrschenden Ideologie gestellt werden können. Das prominenteste Beispiel ist dabei die Entwicklung der Partei Die Grünen. Anfangs waren sie noch geprägt von den verschiedenen sozialen Protestbewegungen der 1970er Jahre: Anti-AKW-, Friedens- und Frauenbewegung sowie Teilen von K-Gruppen und Autonomen. Spätestens in den 90er Jahren fand jedoch in Folge der Inkorporierung in den parlamentarischen Betrieb eine zunehmende Liberalisierung statt, die schließlich in Jugoslawienkrieg, Agenda 2010 und der Abkehr von ehemals ökologischen Grundsätzen mündete. Die Zerstörung des Dorfs Lüzerath zugunsten eines Braunkohle-Tagebaus ist dabei nur das bekannteste Beispiel. Von den einstigen in Teilen radikalen Forderungen ist nichts mehr übrig geblieben.

Aus diesen Fehlern wollen wir lernen und für eine klare Klassenperspektive in den unterschiedlichsten Teilbereichen wie Frauen- und LGBTIQ*-Befreiung, Antifaschismus, Antirassismus, Antimilitarismus, Klimakrise und Stadtentwicklung kämpfen. Jede politische Widerstandsbewegung in der wir aktiv sind, jedes Kampffeld, das wir bearbeiten, folgt dabei immer auch eigenen Logiken und braucht spezifische Antworten auf spezifische Fragen. Ein allgemeingültiges Vorgehen zu entwickeln, wie wir auf die einzelnen Kämpfe einwirken, ist für uns deshalb nicht möglich. Alle Teilbereichskämpfe, die wir unterstützen müssen deshalb auch als alleinstehender Kampf erfasst werden. Unser Ziel ist es nicht, diese Kämpfe zu vereinheitlichen. Dabei ist es eine Notwendigkeit diese Kämpfe nicht isoliert voneinander, sondern als gleichwertige Elemente im Kampf um Befreiung zu betrachten. Jeder für sich stellt eine wichtige Grundlage für den revolutionären Prozess dar.

Wichtig ist dabei als revolutionäre Organisation den richtigen Abstand zu den einzelnen Bewegungen zu halten. Entwickeln wir unsere Teilbereichskämpfe zu nah an unserer eigenen Organisation, verlieren wir schnell den Anschluss an die jeweilige Bewegung. Zukünftige Aktivist:innen müssten zwangsläufig von Beginn an ein revolutionäres Verständnis mitbringen. Den Erfolg der politischen Widerstandsbewegung sehen wir allerdings gerade darin, dass dies nicht nötig ist. Ziehen wir uns jedoch zu weit aus den einzelnen Teilbereichen zurück, schwindet unsere Möglichkeit Einfluss auf die Ziele dieser Kämpfe zu nehmen.

Für unsere politische Praxis bedeutet dies, dass wir uns aktuell noch in Bündnissen an den verschiedenen Kämpfen beteiligen, in Zukunft aber eigene Vorfeldstrukturen aufbauen wollen, die sich losgelöst von den revolutionären Organisationen an den Kämpfen beteiligen. Für uns ist es essentiell, dass unsere Mitglieder selbst aktiv in den verschiedenen Bewegungen aktiv sind und die spezifischen Dynamiken erkennen. Sie haben die Aufgabe theoretische und praktische Erkenntnisse in konkrete langfristige Strategien umzuwandeln. Nur wenn diese Genoss:innen selbst als Teil der Bewegung handeln, können wir auch ihre Eigenschaften analysieren und verstehen. Gleichzeitig haben wir auch nur so die Möglichkeit nachhaltigen Einfluss auf die Kämpfe auszuüben und unsere Theorie in Praxis umzusetzen. In diesem Prozess steht die revolutionäre Struktur nicht den anderen Teilen der politischen Widerstandsbewegung übergeordnet. Wir werden in unserer Analyse nicht immer richtig liegen und unsere richtigen Vorschläge werden nicht immer angenommen werden. Das darf uns nicht daran hindern uns dennoch weiter aktiv zu bleiben und eine kurze Zeit lang unseren eigenen Zielen widersprechend zu handeln. Letztlich bedingt sich der Erfolg der verschiedenen Kämpfe wechselseitig. Nur durch eine Überwindung des Kapitalismus können die einzelnen Teilbereichskämpfe endgültig erfolgreich sein, gleichzeitig ist eine Revolution nur möglich, wenn die einzelnen Teilbereiche gewonnen werden.

Neben ihrer aktuellen Relevanz in politischen Kämpfen, ist die politische Widerstandsbewegung zusätzlich ein wichtiger Agitationsort revolutionärer Strukturen. Auch wenn die ursprüngliche Motivation oftmals eine andere war, eignen sich die meisten Aktivist:innen mit der Zeit ein breites politisches Verständnis an, das die Erkenntnis der Notwendigkeit einer Revolution mit sich bringt. Außerdem bringen sie praktische und theoretische Erfahrungen aus ihren jeweiligen Kampffeldern mit, die auch für den Aufbau einer revolutionären Organisation wichtig sind. In der Praxis zeigt sich dies an unseren eigenen Strukturen. Nahezu unsere komplette Organisation setzt sich aus Personen zusammen, die vorher in verschiedenen Bereichen der politischen Widerstandsbewegung tätig waren.

10.2 Revolution und Sozialismus

Unsere Politik ist revolutionär, weil wir den grundsätzlichen Bruch mit diesem System suchen. Wir kämpfen nicht nur für direkte Verbesserungen der Lage der Arbeiter:innenklasse, sondern arbeiten an der Überwindung aller kapitalistischen Verhältnisse.

Im Gegensatz zum Reformismus sehen wir keine Möglichkeit durch immer weitergehende kleine Verbesserungen zu einer anderen Welt zu kommen. Der Kapitalismus und seine Institutionen besitzen eine enorme Kraft zur Integration all jener, die sich an den verschiedensten Stellen gegen sein Fortbestehen stemmen. Aber auch Zersetzung und Zerschlagung aller Bestrebungen, die ernsthaft an seiner zerstörerischen Macht rütteln, gehört zum Repertoire bürgerlicher Kräfte, wie die Geschichte zu Hauf gezeigt hat.

Gerade deshalb sind wir davon überzeugt, dass es eine schlagkräftige und geeinte Form der Organisierung braucht, die durch Kontinuität und Resilienz den revolutionären Kampf entscheidend vorantreibt. 

Wie diese im 21. Jahrhundert, im westlichen imperialistischen Zentrum, aussehen wird, muss gemeinsam beantwortet werden und braucht das ganze revolutionäre Potential.

Die nie zuvor dagewesene Entwicklung der Produktivkräfte innerhalb des Kapitalismus hat die Bedingungen für eine andere Form des Lebens und des Wirtschaftens längst selbst geschaffen. Wir leben in einem System, das Überfluss für wenige und (vor allem global gesehen) Elend für die Massen schafft, obwohl es theoretisch mehr als genug produziert, um ein gutes Leben für alle zu garantieren. 

Wir kämpfen für eine Welt, in der die gesellschaftlichen Reichtümer allen zur Verfügung stehen, in der Produktion und Reproduktion, Wissenschaft, Kunst und Sport, kurz: die gesamten gesellschaftlichen Aktivitäten kollektiv organisiert werden. 

Das höhere Ziel, zu dem wir streben, kann nicht von heute auf morgen erreicht werden, sondern wird durch eine Übergangsphase – den Sozialismus – vorbereitet. In diesem hält die proletarische Klasse die politische Macht in ihren Händen und die Gesellschaft organisiert sich in allen Bereichen in Rätestrukturen. 

Die Zeit des privaten Besitzes von Produktionsmitteln nimmt ihr Ende. Fabriken, Land und Infrastruktur werden enteignet, der Aktienhandel verboten. Arbeiter:innen übernehmen die Organisation der Produktion und mit Hilfe aller zur Verfügung stehenden Technik wird geplant, wie Bedürfnisse unter möglichst humanen und ökologischen Gesichtspunkten befriedigt werden können. Die verschiedensten gesellschaftlichen Lebensbereiche werden einer umfassenden Demokratisierung unterzogen und von den alten bürgerlichen Konventionen befreit.

Stück für Stück stirbt die Klassenherrschaft und “an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden, die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Kommunistisches Manifest)


31 Marx/Engels (1972): Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 462.

32 vgl. Mészáros, István (2009) The Structural Crisis of Capital; Wallerstein, Immanuel (2011) Structural Crisis in the World-System: Where Do We Go from here? In: Monthly Review 62, 31-39.

33 Detje Richard/Sauer, Dieter (2022): Arbeitssolidarität. Zur Aktualität kollektiver Widerstandserfahrungen. In: Zeitschrift Marxistische Erneuerung 132, S.29.

34 vgl. Harvey, David (2005): A Brief History of Neoliberalism. S. 5-38.

35 Gramsci, Antonio (1991-2002):Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe. S. 1947.

36 Eagleton, Terry (2000): Ideologie. Eine Einführung. S.135.

37 Gramsci, Antonio (1980): Zu Politik, Geschichte und Kultur. Ausgewählte Schriften. S. 191.

38 Gramsci, Antonio (1991-2002):Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe. S. 1384.

39 Gramsci, Antonio (1991-2002):Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe. S. 1382.

40 Gramsci, Antonio (1991-2002):Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe. S. 1377.